Wandlung
stellte zwei Kerzen und das Kreuz auf. Sie legte gregorianische Gesänge auf und drückte auf Titelwiederholung.
Sie selbst bezog ein Zimmer auf der untersten Ebene. Ghost wohnte gleich nebenan, sie konnte ihn durch die Wand hören. Sie konnte ihn husten hören, hören, wie er im Zimmer auf und ab ging.
Über die Sprechanlage kam Rawlins’ Stimme: »Reverend Blanc, Dr. Rye. Kommen Sie zu mir in den Aussichtsraum, sofort.«
Jane nahm die Wendeltreppe hinauf zur Aussichtskuppel. Rawlins saß am Mikrofon. Neben ihm stand Sian.
»… die Augen geöffnet, aber wir bekommen kein vernünftiges Wort aus ihm heraus.«
»Gar nichts?« , wollte Rawlins wissen. »Weiß er seinen Namen? Weiß er, welches Jahr wir haben?«
»Er kann nicht sprechen. Er hat zu zittern aufgehört, und seine Augen sind offen.«
»Können Sie ihn aufwärmen? Seine Arme und Beine?«
»Wir haben ihn in alles gewickelt, was wir haben.«
»In Ordnung. Bleiben Sie einen Moment dran.«
»Was ist das Problem?« Dr. Rye, eine schlanke Frau in den Fünfzigern, trat zu der Gruppe.
»Sie wollten kein Lager aufschlagen«, sagte Rawlins. »Sie haben es ausdiskutiert und beschlossen weiterzugehen. Sie waren der Ansicht, genügend Batterien dabeizuhaben, um ihre Taschenlampen die ganze Nacht hindurch brennen zu lassen. Sie waren gerade dabei, mit dem Boot einen Meeresarm zu überqueren. Dabei ist Alan, der Mann mit den Erfrierungen, im Eis eingebrochen.«
»Wie geht es ihm?«
»Beschissen, gelinde gesagt. Er liegt praktisch im Koma, reiner Ballast. Aus eigener Kraft wird er nirgendwohin mehr gehen. Und seine Kollegen sind so ziemlich am Ende ihrer Kräfte. Aus ihnen ist kaum etwas herauszubekommen. Sie sind unterkühlt, orientierungslos und kurz davor aufzugeben. Als Sie zuletzt mit ihnen gesprochen haben, Jane, haben sie irgendetwas davon erwähnt, wo sie zur Insel übersetzen wollten?«
»Bei Darwin irgendwas. Darwin-Sund? Darwin-Punkt?«
»Bleiben Sie am Funkgerät. Sehen Sie zu, dass Sie sie
wieder aufrichten, und beschaffen Sie sich einen Hinweis auf ihre Position. Irgendeine Orientierungshilfe, was auch immer.« Rawlins wandte sich Rye zu. »Punch war schon draußen auf dem Eis, richtig?«
»Ja. Mit den Motorschlitten. Letzten Sommer sind wir die Küste entlanggefahren.«
»Gut. Sie, er und Ghost bilden das Rettungsteam. Holen Sie Ihre Sachen. In einer Stunde brechen Sie auf.«
Jane und Rawlins standen auf dem Hubschrauberlandeplatz, es war dunkel. Rawlins nestelte mit behandschuhten Fingern an seinem Funkgerät herum.
»Schalten Sie die Lichter ein.«
Die Flutlichter unter der Plattform leuchteten auf, bestrahlten Streben und Tragbalken und beleuchteten das Packeis, das sich zwischen den Auflagern der Bohrinsel angesammelt hatte.
Punch, Ghost und Rye standen auf der Anlegerplattform am östlichen Auflager und drückten mit einem Bootshaken das Treibeis zur Seite. Sie ließen das Schlauchboot in das schwarze Wasser hinab. Ghost kletterte in das Boot, dann warfen sie ihm ihre Rucksäcke zu.
Jane wollte mitfahren, wusste aber, dass sie ihnen nur zur Last fallen würde.
Punch und Rye kletterten in das Boot, sie waren so dick gepolstert, dass sie sich nur langsam und unbeholfen bewegen konnten wie Astronauten. Mit der Startleine riss Ghost den Außenborder an. Das Schlauchboot löste sich von der Bohrinsel, fädelte zwischen Treibeisschollen hindurch und wurde von der Dunkelheit verschluckt.
06 – Rettung
»Ich muss mit jemandem reden.«
Gus Raglan, ein untersetzter, stämmiger Bursche mit einer Stacheldrahttätowierung um den Nacken, holte Jane auf dem Flur draußen vor ihrem Zimmer ein. Er machte einen verstohlenen Eindruck.
»Ich muss etwas besprechen.«
Jane sah sich nach einem Raum um, den man als Beichtzimmer benutzen könnte, und entschied sich für einen Lagerraum im hinteren Bereich der Küche, eine stählerne Kammer voller Töpfe und Pfannen. Sie besaß dicke Wände und eine massive Tür, hier konnte man miteinander reden, ohne dass einen jemand belauschte.
»Also, was liegt dir auf der Seele?«
»Mein Bruder. Seine Frau, sie und ich …«
»Wie lange schon?«
»Drei, vier Jahre. Ich habe sie angefleht, ihn zu verlassen, tausendmal hab ich sie gebeten. Es ist schwierig.«
»Ahnt dein Bruder was?«
»Ich glaube, er zieht es vor, nichts zu wissen.«
»Wie würde er reagieren, wenn er dahinterkäme?«
»Er ist der friedliche Typ. Aber zwischen uns wäre es aus. Als Freund würde ich ihn verlieren.«
»Hast du
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