Wandlung
gesamte infizierte Personal abzusondern und den nächsten Hafen, Murmansk, anzulaufen.
In Murmansk forderte man das Schiff auf, kehrtzumachen; seine Seenotrufe wurden ignoriert. Als sie sich trotz der Weigerung des Hafenmeisters, ihnen die Erlaubnis zum Anlegen zu erteilen, dem Hafen zu nähern
versuchten, wurden sie beim Auswerfen der Ankertaue von russischen Soldaten unter Beschuss genommen. Stattdessen setzten sie anschließend die Fahrt in westlicher Richtung, nach Norwegen fort.
Patrick Connor war seit neun Jahren Bootsmann und der engste Freund des Kapitäns. Während der normalen Arbeitszeiten tagsüber verhielten sich die beiden distanziert und professionell, abends jedoch saßen sie zusammen in der Kapitänskabine und entkorkten eine Flasche Bordeaux. Genau genommen hätte keiner der beiden trinken dürfen, ihre gehobene Position an Bord bedeutete, dass sie, solange das Schiff auf See war, niemals wirklich außer Dienst waren. Also tranken sie den Wein heimlich und erfreuten sich ihrer kleinen Verfehlung.
Jetzt ist es eine Woche her, dass Patrick gebissen wurde. Ich war gezwungen, das entsetzliche Fortschreiten dieser Krankheit mit zu verfolgen, habe mit ansehen müssen, wie sich mein Freund allmählich in ein Monster verwandelt. Es war die schlimmste Erfahrung meines Lebens.
Patrick war ins Gesicht gebissen worden. Er hatte sich gerade über Lenuta Grasu gebeugt, eines der rumänischen Zimmermädchen, als diese sich von ihren Fesseln befreite und ihm ein Stück aus der Wange biss. Obwohl er die Wunde augenblicklich ausgewaschen und desinfiziert hatte, wussten er und der Kapitän, dass es zwecklos sein würde. Die Krankheit wurde, wie HIV oder Hepatitis, durch Körperflüssigkeiten übertragen. Infizierte sich jemand, setzte alsbald ein geistiger Verfall ein, worauf der Betreffende nun selbst um sich zu beißen und zu kratzen begann, ganz so, als lege er es darauf an, die Infektion auf jede ihm mögliche Weise weiterzugeben.
Rafal, der Kellner aus Trondheim, der als Erster die Anzeichen der Infektion aufwies, wurde an ein Krankenhausbett gefesselt. Er spuckte und fauchte und wies grauenhafte Entstellungen auf. Es bestand kaum Hoffnung, dass er sich je wieder erholen würde.
Mangels einer genauen Diagnose bezeichnete der Bordarzt Dr. Walczak die Krankheit als Tollwut. Als sie norwegische Gewässer erreichten, war die Krankenstation mit ihren vierzehn Betten bis an die Grenzen ihrer Aufnahmefähigkeit belegt, weshalb die Besatzung einige Mannschaftskabinen beschlagnahmte, um sie als Behandlungsräume zu nutzen. Patrick Connor hatte sich Dr. Walczak freiwillig als Helfer angeboten, um dem Arzt von Zeit zu Zeit seine dringend benötigten Ruhepausen zu ermöglichen.
Patrick verfasste einen Abschiedsbrief an seine Frau und seine Kinder, ließ sich dann fesseln. Kaum vierundzwanzig Stunden später hatte die Krankheit von ihm Besitz ergriffen. In seinen seltenen klaren Momenten bettelte er darum, getötet zu werden.
Der Kapitän besuchte die Krankenstation oft.
Heute Abend hatten Dr. Walczak und ich ein ausführliches Gespräch, in dem wir über die geeignetste Behandlungsmethode für Pat sprachen, die beste Möglichkeit, ihn von seinem Leiden zu erlösen.
Nächster Tagebucheintrag: Heute Mittag hielten wir Patricks Begräbnis ab und übergaben seine sterblichen Überreste der See.
Der Kapitän beschaffte sich aus der Küche ein paar Flaschen Cabernet Sauvignon. Für die folgenden drei Tage existierten keine Tagebucheinträge.
Jane lag auf dem Bett und überflog die Notizen, Seite um
Seite eines blutigen Gemetzels. Einer nach dem anderen erlagen die Männer des Kapitäns der Krankheit.
Die Maschinen wurden abgeschaltet; die Hyperion trieb nördlich von Norwegen.
Die Besatzung war gezwungen, die unteren Decks aufzugeben, und hoffte darauf, durch das Herunterlassen der Schotts die infizierten Passagiere in den weiter unten liegenden Kabinen einsperren zu können. Diese jedoch entdeckten die Treppenschächte, noch bevor die Besatzung Gelegenheit hatte, überall Barrikaden zu errichten.
Der Erste Offizier, Quinn, gab Molotowcocktails an seine Leute aus. Wenn es ihnen gelang, sich in den Treppenhäusern zu behaupten, wenn sie die infizierten Passagiere wieder auf die unteren Decks zurückdrängen konnten, ließe sich möglicherweise die Kontrolle über die Oberdecks aufrechterhalten.
Meiner Ansicht nach töten die von dieser Krankheit in den Wahnsinn Getriebenen nicht vorsätzlich, vielmehr
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