Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
aus Ihnen die Selbstsucht und die Eitelkeit herausbrennt. Wer ist schon glücklich? … Und mit welchem Recht wollen Sie glücklich sein? Sind Sie denn so sicher, daß Ihre Sehnsucht und Ihre Liebe selbstlos sind, daß Sie das Glück verdienen? Wenn es so wäre, würden Sie jetzt nicht hier knien, sondern Sie wären dort, wohin das Leben Sie gestellt hat, Sie würden Ihrer Arbeit nachkommen und die Befehle des Lebens abwarten«, sagte er streng und sah mir in die Augen.
Es war das erstemal, daß er mich anblickte. Mit blitzenden kleinen Augen. Dann wandte er sich gleich wieder ab und machte die Augen wieder zu.
Nach langem Schweigen sagte er: »Sie sagen, Ihr Mann verzeihe Ihnen den Tod des kleinen Kindes nicht?«
»So empfinde ich es.«
»Ja«, sagte er nachdenklich. »Kann sein.«
Es war offensichtlich, daß ihn die Annahme nicht überraschte, da er ja zwischen den Menschen alles für möglich hielt.
Dann fragte er, als wäre es etwas Nebensächliches: »Und Sie, haben Sie sich dessen noch nie angeklagt?«
Er sagte »ängeklägt«, ein bißchen mit slowakischem Einschlag, und irgendwie tröstete mich in dem Augenblick dieser Akzent.
»Wie könnte ich darauf antworten, Hochwürden? Wer vermag auf solche Fragen zu antworten?«
»Denn sehen Sie«, sagte er so unvermittelt und freundlich, daß ich ihm am liebsten die Hand geküßt hätte. Er sprach ganz eifrig und einfach, wie es nur die alten Priester auf dem Land können. »Ich kann nicht wissen, was in Ihrer Seele vorgeht, solange Sie es nicht sagen, denn was Sie mir gebeichtet haben, liebe Tochter, sind nur Absichten und Pläne. Doch der Herr flüstert mir zu, daß das gar nicht die Wahrheit ist. Die Stimme flüstert mir zu, daß Sie voller Selbstanklage sind, wegen des Kindes oder wegen anderer Dinge. Aber vielleicht täusche ich mich«, sagte er, wie um sich zu entschuldigen, und verstummte plötzlich, als bereute er das Gesagte.
»Aber es ist recht«, sagte er später leise und verschämt, »es ist recht, wenn Sie an Selbstanklage leiden. Dann werden Sie vielleicht doch noch gesund.«
»Was soll ich tun?« fragte ich.
»Beten«, sagte er einfach. »Und arbeiten. So gebietet es der Glaube. Das ist alles, was ich weiß. Bereuen Sie Ihre Sünden?« fragte er mechanisch, als hätte er das Thema gewechselt.
»Ich bereue sie«, sagte ich genauso mechanisch.
»Fünf Vaterunser und fünf Ave-Maria«, sagte er. »Ego te absolvo …«
Und er begann zu beten. Von mir wollte er nichts mehr hören.
Zwei Wochen danach fand ich in der Brieftasche meines Mannes das violette Band.
Ob du’s glaubst oder nicht, ich wühlte nie in den Mappen und Taschen meines Mannes. Ich stahl ihm auch nie etwas, so unglaublich das klingt. Er gab mir alles, worum ich ihn bat, wozu hätte ich stehlen sollen? Ich weiß, viele Frauen bestehlen ihren Mann, aus Zwang, aus Mutwillen. Die Frauen tun überhaupt viel aus Mutwillen. »Wer bin ich denn«, sagen sie und tun auch Dinge, zu denen sie nicht die geringste Lust haben. Bei mir ist es nicht so. Ich will mich nicht rühmen, es ist einfach eine Tatsache.
An jenem Morgen schaute ich auch nur deshalb in seine Brieftasche, weil er angerufen hatte, er habe sie zu Hause vergessen, und er schicke den Bürodiener, sie zu holen. Das ist noch kein Grund, sagst du. Aber in seiner Stimme war etwas Fremdes, Gehetztes, beinahe Aufgeregtes. Eine unruhige Stimme. Man hörte ihr an, daß dieser kleine Lapsus für ihn eine besondere Bedeutung hatte. So etwas nimmt man weniger mit dem Ohr als mit dem Herzen wahr.
Das war die Brieftasche aus Krokodilleder, die du vorhin gesehen hast. Ich hatte sie ihm geschenkt, habe ich das schon gesagt? … Und er benutzte sie auch getreulich. Denn ich muß dir etwas sagen: In seiner Seele war dieser Mann die Treue selbst. Ich meine, er konnte nicht untreu sein, auch wenn er gewollt hätte. Sogar den Gegenständen war er treu. Er mußte alles behalten, aufbewahren. Das war das Bürgerliche an ihm, eine edle Bürgerlichkeit. Und nicht nur Gegenstände bewahrte er auf, sondern alles, was im Leben lieb und wert und sinnvoll ist, alles, weißt du … die schönen Bräuche, die Lebensformen, die Möbel, die christliche Moral, die Brücken, die Welt, so wie die Menschen sie mit gewaltiger Kraftanstrengung, mit Einfallsreichtum und Leiden aufgebaut hatten, die einen mit Hilfe großer Ideen, die anderen mit Schwielen an den Händen … Das alles lag ihm gleicherweise am Herzen, es war die Welt, die er liebte und erhalten
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