Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
höflich, ja peinlich aufmerksam, etwa wie ein Arzt einen Kranken bei der ersten Visite. Er bat mich, Platz zu nehmen, und selbstverständlich bot er mir nichts an. Und so abwartend, aufmerksam und zurückhaltend blieb er die ganze Zeit, als hätte er solche Gespräche schon zuhauf erlebt und wüßte, daß sie völlig hoffnungslos sind, so wie der Arzt angesichts des unheilbar Kranken zwar weiß, daß es kein Mittel gibt, aber doch seine Klagen anhört, nickt und eventuell ein Pulver oder einen Sirup verschreibt. Was wußte er? Er wußte einfach, daß es in Gefühlsangelegenheiten keinen Rat gibt. Auch mir dämmerte das. Und als ich ihm dort gegenübersaß, spürte ich entmutigt, daß ich diesen Weg umsonst gemacht hatte. Es gibt keinen »Rat« im Leben. Die Dinge geschehen, das ist alles.
»Haben Sie sie gefunden?« fragte er unvermittelt.
»Ja«, sagte ich. Diesem Menschen brauchte man nicht viel zu erklären.
»Sind Sie jetzt ruhiger?«
»Nicht wirklich. Gerade deshalb bin ich gekommen, um Sie zu fragen, wie es weitergehen soll.«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen«, erwiderte er ruhig. »Vielleicht gibt es kein Weiter. Sie mögen sich erinnern, daß ich Ihnen gesagt habe, es wäre besser, nicht an die Sache zu rühren. Sie war schon ganz schön verheilt oder, wie die Ärzte sagen, granuliert. Und jetzt hat man sich daran zu schaffen gemacht, ein bißchen am Gewebe geschnitten.«
Es wunderte mich nicht, daß er medizinische Begriffe gebrauchte; ich fühlte mich ja sowieso schon wie im Sprechzimmer eines Arztes. Weißt du, hier war nichts »literarisch«, nichts glich dem Bild, das man sich von der Wohnung des berühmten Schriftstellers macht. Es war alles eher bürgerlich, ja, kleinbürgerlich, sehr ordentlich und bescheiden.
Er erhaschte meinen Blick – es war überhaupt immer unbehaglich, ihm gegenüberzusitzen, denn er merkte alles, und man hatte das Gefühl, einmal würde man dann verwendet, wie alle und alles, dem er begegnete, einmal würde man in seinen Büchern vorkommen – und sagte ruhig: »Ich brauche die bürgerliche Ordnung. Nach innen ist man abenteuerlich genug. Nach außen soll man leben wie ein Oberpostrat. Ordnung ist lebensnotwendig, weil man sonst nicht achtgeben kann …«
Er sagte nicht, worauf er achtgeben mußte, auf das ganze Leben wahrscheinlich, auf das Leben, auf die Außenwelt und die Unterwelt, wo violette Bänder flattern.
»Ich habe schwören müssen, meinem Mann nichts zu sagen.«
»Ja«, sagte er. »Er wird es sowieso erfahren.«
»Von wem?«
»Von Ihnen. Über so etwas kann man nicht schweigen. Man redet oder schweigt nicht nur mit dem Mund, sondern auch mit seiner Seele. Ihr Mann wird alles erfahren, bald.«
Er verstummte. Und fragte dann ganz direkt und unhöflich: »Was wünschen Sie von mir, gnädige Frau?«
»Ich bitte um eine klare Antwort«, sagte ich und war von meiner eigenen ruhigen Klarheit überrascht. »Sie haben recht gehabt. Es ist etwas explodiert. Habe ich es explodieren lassen, oder war es der Zufall? Das spielt jetzt keine Rolle mehr. Derartige Zufälle gibt es sowieso nicht. Meine Ehe ist nicht gelungen. Ich habe darum gekämpft wie eine Verrückte, habe mein ganzes Leben dafür geopfert. Ich wußte nicht, was ich falsch machte. Jetzt habe ich Zeichen und Spuren und einen Menschen gefunden, der behauptet, mit meinem Mann mehr gemeinsam zu haben als ich.«
Er stand rauchend an den Tisch gelehnt und schwieg.
»Glauben Sie tatsächlich, daß diese Frau im Herzen, in den Nerven meines Mannes einen so unauslöschlichen Eindruck hinterlassen hat? Gibt es das überhaupt? Was ist dann Liebe?«
»Ich bitte Sie«, sagte er höflich und ein bißchen spöttisch, »ich bin bloß ein Schriftsteller und ein Mann. Ich kann so schwierige Fragen nicht beantworten.«
»Glauben Sie daran«, fragte ich, »daß die Liebe solche Macht über eine Seele gewinnen kann, daß man nie mehr jemand anderen zu lieben vermag?«
»Vielleicht«, sagte er vorsichtig und gewissenhaft, wirklich wie der gute Arzt, der schon vieles gesehen hat und nicht vorschnell urteilen mag. »Habe ich schon von so etwas gehört? Ja. Oft? Nein.«
»Was geschieht in der Seele, wenn man verliebt ist?« fragte ich wie ein Schulmädchen.
»In der Seele geschieht nichts«, sagte er bereitwillig. »Die Gefühle spielen sich nicht in der Seele ab. Sie haben eine andere Bahn. Aber sie überfluten die Seele wie der über die Ufer getretene Fluß das umliegende Gebiet.«
»Vermag ein kluger,
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