Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
intelligenter Mensch diese Überflutung aufzuhalten?« fragte ich.
»Nun ja«, sagte er lebhaft, »das ist eine ziemlich interessante Frage. Ich habe mich viel mit ihr befaßt. Und muß antworten, daß es bis zu einem gewissen Grad möglich ist. Ich meine, der Verstand kann Gefühle weder hervorbringen noch aufhalten. Aber er kann sie regulieren. Man kann Gefühle, die gemeingefährlich sind, in einen Käfig sperren.«
»Wie einen Puma?« fragte ich unwillkürlich.
»Wie einen Puma, meinetwegen«, sagte er achselzuckend. »Und dann dreht das arme Gefühl seine Runden, brüllt, knirscht mit den Zähnen, reißt an den Gitterstäben. Am Ende aber zerbricht es daran, das Fell und die Zähne fallen ihm aus, es wird alt, zahm und traurig. Das gibt es. So etwas habe ich schon gesehen. Dieser Art ist das Werk des Verstands. Man kann die Gefühle zähmen und dressieren. Natürlich«, sagte er vorsichtig, »tut man gut daran, den Käfig nicht vorzeitig zu öffnen. Denn der Puma spaziert heraus, und wenn er nicht zahm und traurig genug ist, kann er etlichen Schaden anrichten.«
»Sagen Sie das einfacher«, bat ich.
»Einfacher kann ich es nicht sagen«, antwortete er geduldig. »Sie möchten von mir wissen, ob man Gefühle mit Hilfe des Verstands aufheben kann. Darauf muß ich rundheraus sagen: nein. Aber ich kann Sie damit trösten, daß man die Gefühle zuweilen, im glücklichen Fall, zähmen und schrumpfen lassen kann. Sehen Sie mich an. Ich habe es überlebt.«
Ich kann dir gar nicht sagen, was ich in dem Moment fühlte, aber ich vermochte ihm nicht in die Augen zu sehen. Auf einmal kam mir der Abend in den Sinn, als ich ihn kennengelernt hatte, und ich wurde rot. Das seltsame Spiel kam mir in den Sinn. Ich war verlegen wie ein Backfisch. Auch er schaute mich nicht an, er stand mit verschränkten Armen an den Tisch gelehnt und blickte zum Fenster. Unsere Verlegenheit dauerte eine Weile. Es waren die peinlichsten Augenblicke meines Lebens.
»Sie haben damals«, sagte ich hastig, um von etwas anderem zu reden, »Péter abgeraten, das Mädchen zu heiraten.«
»Ich habe alles getan, was ich konnte, damit er sie nicht heiratete. Damals hatte ich noch Macht über ihn.«
»Jetzt nicht mehr?«
»Nein.«
»Diese Frau ist heute mächtiger?«
»Diese Frau?« fragte er und legte den Kopf in den Nacken, während sich seine Lippen bewegten, als zählte er, als wöge er die Machtverhältnisse ab. »Ich glaube schon.«
»Hat Ihnen damals meine Schwiegermutter geholfen?«
Er schüttelte ernst den Kopf, als käme ihm eine unangenehme Erinnerung: »Nicht sehr.«
»Sie werden doch nicht glauben«, sagte ich irritiert, »daß diese stolze, vornehme Frau so einen Wahnsinn befürwortet hätte.«
»Ich glaube gar nichts«, sagte er vorsichtig, »ich weiß nur, daß diese stolze, vornehme Frau ein ganzes, langes Leben in einer Kälte verbracht hat, als hätte sie nicht in einer Wohnung, sondern in einem Kühlhaus gewohnt. Solche durchfrorenen Menschen verstehen es eher, wenn sich jemand aufwärmen möchte.«
»Und Sie, warum haben Sie nicht erlaubt, daß sich Péter … wie Sie sagen … in der Atmosphäre dieser seltsamen Beziehung aufwärmt?«
»Weil ich es nicht mag«, sagte er wieder geduldig und belehrend, »wenn man sich an Orten wärmt, wo man am Spieß gebraten wird.«
»Für so gefährlich halten Sie Judit Áldozó?«
»Sie als Person? Das ist nicht leicht zu beantworten. Aber auf jeden Fall die Situation, die sich daraus ergeben hätte.«
»Und die andere Situation, die sich nachher ergeben hat, ist die weniger gefährlich?« fragte ich und gab sehr acht, leise und gefaßt zu sprechen.
»Jedenfalls ist sie geregelter.«
Ich verstand das nicht und starrte ihn stumm an.
»Geehrte Dame«, sagte er, »Sie wissen nicht, was für ein altväterischer, gesetzesfürchtiger Mensch ich bin. Vielleicht sind nur noch wir Schriftsteller wirklich gesetzesfürchtig. Der Bürger ist ein viel abenteuerlustigeres, ja, revolutionäreres Wesen, als man gemeinhin glaubt. Kein Zufall, daß alle großen revolutionären Bewegungen den verkommenen Bürger als Fahnenträger haben. Wir Schriftsteller hingegen können uns den Luxus der Revolte nicht erlauben. Wir sind die Bewahrer. Es ist viel schwerer, etwas zu bewahren, als es zu erwerben oder zu vernichten. Ich kann den Menschen nicht erlauben, sich gegen die Gesetze aufzulehnen, die in den Büchern und den menschlichen Herzen leben. Ich muß aufpassen und in einer Welt, in der alle
Weitere Kostenlose Bücher