Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
Zimmer, ein richtiger Saal. An den Türen hingen dicke orientalische Stoffe. An den Wänden verschiedenste Bilder, teure Gemälde in Goldrahmen, die fremde, nie gesehene Wälder darstellten, fernöstliche Häfen und unbekannte, zumeist bärtige Herren aus dem vorigen Jahrhundert. In der einen Zimmerecke stand ein mächtiger Schreibtisch, ein sogenannter Diplomatenschreibtisch, drei Meter lang und anderthalb Meter breit, beladen mit einem Globus, einem Kerzenhalter aus Messing, einer Schreibmappe aus venezianischem Leder und sonstigem edlem Kram. Des weiteren standen schwere Ledersessel um einen runden Tisch herum. Auf dem Kaminsims kämpften zwei Bronzestiere miteinander. Auch auf den Bücherschränken standen Gegenstände aus Bronze, Adler und Pferde sowie ein sprungbereiter Tiger, der einen halben Meter maß. Alles aus Bronze. Und in den Schränken mit den Glastüren die Bücher. Eine Menge Bücher, vielleicht vier- oder fünftausend, ich weiß gar nicht genau. Je in verschiedenen Schränken die Belletristik, dann Werke der Theologie, Philosophie, Soziologie, die in blaues Leinen gebundenen Werke eines englischen Philosophen und allerlei Reihen, wie sie von Vertretern verkauft wurden. Diese Bücher wurden eigentlich von niemandem gelesen. Mein Vater las am liebsten die Zeitung und Reisebeschreibungen. Meine Mutter las zwar, aber nur deutsche Romane. Die Buchhändler schickten von Zeit zu Zeit die Neuerscheinungen, und dann blieben sie bei uns liegen, bis sich der Diener von meinem Vater den Schlüssel erbat und die angesammelten Exemplare in den Schränken unterbrachte. Denn die Schränke wurden sorglich abgeschlossen, angeblich um die Bücher zu schonen. In Tat und Wahrheit wurden die Bücher vor dem Gelesenwerden geschützt, vor der Gefahr, daß es jemandem einfallen könnte, das geheime und gefährliche Material, das in ihnen verborgen ist, zur Kenntnis zu nehmen.
Dieses Zimmer hieß so: Vaters Arbeitszimmer. Im Arbeitszimmer hatte seit Menschengedenken nie jemand gearbeitet, am allerwenigsten mein Vater. Er arbeitete in der Fabrik und im Kasino, wohin er nachmittags ging, unter die Fabrikanten und Kapitalisten, um geruhsam Karten zu spielen, die Zeitung zu lesen und über Politik und Geschäfte zu diskutieren. Mein Vater war ohne Zweifel ein kluger, praktisch veranlagter Mann. Die Fabrik hatte er aus der Werkstatt meines Großvaters zu einem Großbetrieb gemacht, unter seiner Hand wurde sie zu einer der wichtigsten Industrieanlagen des Landes. Dazu brauchte es Kraft, Schlauheit, viel Unerbittlichkeit, Voraussicht, kurz und gut all das, was es eben für ein Unternehmen braucht, bei dem in einem oberen Stockwerk ein Mensch am Schreibtisch sitzt und dank Instinkt und Erfahrung bestimmt, was die Menschen in den unteren Stockwerken tun sollen. An diesem Schreibtisch saß mein Vater vier Jahrzehnte lang. Er war dort an seinem Platz, man achtete ihn, man fürchtete ihn, in der Geschäftswelt nannte man seinen Namen mit Respekt. Ohne Zweifel waren die Geschäftsmoral meines Vaters, seine Ansichten über Arbeit und Geld, Gewinn und Vermögen genau so, wie es die Welt, seine Geschäftsfreunde und seine Familie von ihm erwarteten. Er war ein schöpferischer Mensch, also keineswegs der düster-engherzige Kapitalist, der seine Angestellten ausbeutet, sondern ein schaffensfrohes Talent, das kreatives Arbeiten achtete und besser bezahlte als sture Pflichterfüllung. Doch das war ein anderer Bund, Vater, die Fabrik und der Klub – was sich zu Hause als Ritual abspielte, war draußen, in der Fabrik, in der Welt ein unverfälschteres, geheimnisvolleres Bündnis.
Der Gesellschaftskreis, dessen Gründungsmitglied mein Vater war, nahm nur Millionäre auf, und es durften nur zweihundert sein, keiner mehr. Wenn eins der Mitglieder starb, wurde mit größter Umsicht, etwa so, wie wenn die Académie Française ein neues Mitglied wählt oder die tibetanischen Mönche unter den Kindern des Hochlands den neuen Dalai Lama suchen, nach einem Millionär gefahndet, der dieser Rolle gewachsen war und den Platz des Verstorbenen ausfüllen konnte. Die Auswahl und die Berufung wurden unter Geheimhaltung durchgeführt. Die Zweihundert spürten, daß sie auch ohne Titel und Amt eine Macht darstellten, vielleicht eine wichtigere als ein Ministerium. Sie waren die andere Macht, die unsichtbare, mit der die offizielle Macht nicht selten in Verhandlungen zu treten und Vereinbarungen zu treffen gezwungen war. Mein Vater war einer dieser Männer.
Das
Weitere Kostenlose Bücher