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Wanted

Wanted

Titel: Wanted Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Schaufeln Kohle nachzulegen. Minna puffte eifrig vor sich hin, folgte dem riesigen Rund ihres Schienenstrangs, während Mandoney die Gegend im Inneren des eisernen Kreises mit den Augen absuchte.
    Fast wie in alten Tagen, dachte er. Auf Streife, wenn die Welt noch schläft. Vom Fremden keine Spur.
    Und doch ahnte Mandoney, spürte es in den Knochen, fühlte es bis in die letzte Faser seines Deputy-Herzens, wusste es einfach, mit absoluter Gewissheit, dass der Fremde genauso wach war wie er, dass er irgendwo in diesem großen Rund aktiv war, etwas ausheckte, etwas, das er, Mandoney, verhindern musste.
    Er wird versuchen, den Kreis zu brechen, dachte er mit immer mal wieder einem nervösen Auge nach vorn, auf den noch unversehrten Parallelstrang der Gleise. Und er kann von Glück sagen, wenn ich ihn dabei erwische. Und nicht jemand anders. Die Thyssons, zum Beispiel. Oder die Jones.
    »Sei leise«, hauchte sie. Ich schlug die Augen auf und Karen küsste mich sanft auf den Mund. »Wir wollen doch deinen Zimmernachbarn nicht wecken, oder?«
    Ich schüttelte den Kopf, als ob ich ihn von Schuppen befreien wollte.
    Karen trug einen blassblauen, seidenen Morgenmantel, und als sie sich aufrichtete, einen Schritt zurück machte und ihn von ihren Schultern gleiten ließ, wurde mir klar, dass das alles war, was sie trug. Mondlicht schien durch das Fenster und gab ihrer Haut einen unfassbaren, einen unwirklichen Schimmer.
    Ein Geräusch verließ meine Brust, es klang fast wie ein Schluchzen. Endlich, dachte ich. Endlich ...
    »Und, gefalle ich dir?«, fragte sie mit leiser, heimlicher Stimme, fasste sich beidhändig ins Haar und sog sich die Lungen voll Luft, und ich nickte wie jemand, der beim Anlauf gestolpert, lang hingeschlagen und mit dem Kinn auf dem Vorderende des Sprungbretts zu liegen gekommen ist.
    »Ich bin mir nicht sicher«, flüsterte sie, trat ganz nah ans Bett und begann langsam, die Steppdecke von meinem verschwitzten Balg zu pellen, »ob ich das zugeben sollte«, hauchte sie, und leicht, kitzelnd wie ein Tropfen auf der Haut, setzte sie ihren Zeigefinger an meinem Brustbein an und ließ ihn von da abwärts laufen, weiter und weiter, bis ich mir Sorgen machte, ich könnte mir die Zunge abbeißen und nie wieder einen verständlichen Satz herausbringen, »aber deine reine Hilflosigkeit törnt mich unwahrscheinlich an. Ich dachte, wir tun es, tun es jetzt, ehe du schon morgen früh deine Selbständigkeit zurückerlangst .«
    Ja, dachte ich, Zunge zwischen die Zähne gepresst, dass ich Blut schmeckte, jajaja, dachte ich, o ja, ja, ja, ja, ja, ja .
    Das ganze Bett knackte und knirschte, als Karen sich grazil darauf niederließ, und ich schlug die Augen auf.
    Nackt vom Deckstuhl eines unter tropischer Sonne segelnden Partyschiffes geschleudert zu werden und sich völlig alleine zwischen Eisschollen im grauen Wasser des Polarmeeres treibend wiederzufinden, kann keinen größeren Grad an Ernüchterung bringen als meine in diesem Augenblick.
    Das Bett knackte und knirschte nicht nur, es ächzte unter dem Gewicht von Richard Theissen sen., Oberbürgermeister von Bolterop, Nordrhein-Westfalen. Er hielt einen überbordenden Fresskorb auf dem Schoß, einen enormen Strauß langstieliger Blumen in der linken Armbeuge und ein zähnefletschendes Lächeln im Gesicht.
    »Ich muss mit Ihnen sprechen«, begrüßte er mich in vertraulichem Tonfall.
    Ich grunzte ihn an. Für das, was ich noch ein paar Sekunden vorher gedacht hatte, was ich jetzt tun würde, war Sprechen kein wirklich in Betracht zu ziehender Ersatz.
    Theissen war kräftig für einen Politiker, aber wie so viele fett geworden im Amt. Nur eine einzige Etage Treppenhaus hatte ihm schon den Schweiß aus den Poren getrieben, und seine breiten Schultern hoben und senkten sich im Takt schweren Atmens.
    Sein wie festgeschraubt wirkendes Lächeln stand in krassem Widerspruch zu dem Ausdruck von Hass in seinen Augen, und mir wurde klamm, als mir aufging, dass er der Mann war, der, abgesehen vielleicht mal von mir, in der ganzen Affäre am meisten zu verlieren hatte.
    Ich dachte kurz daran, Menden zu wecken, doch hinter der Trennwand war es auffallend ruhig, kein Schnarchen, kein Röcheln, nichts, ein sicheres Zeichen dafür, dass Menden eh schon wach war und lauschte. Also hielt ich erst mal den Mund.
    OB Theissen seinerseits schien Wert darauf zu legen, sich leise zu verhalten. Er begrüßte mich jovial in so was wie einer gedeckten Tonlage und wies die mitgebrachten Geschenke

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