War against people
»in Tokio innerhalb von sechs Stunden wahrscheinlich mehr Menschen
durch Feuer umgekommen sind als zu irgendeiner anderen Zeit in der
Menschheitsgeschichte«. An den 50. Jahrestag dieses grausamen Vorgangs erinnerte die in
Hongkong erscheinende Far Rastern Economic Review - die führende (und höchst
konservative) Wirtschaftszeitung Asiens mit einem ausführlichen Bericht, während in
den Vereinigten Staaten das Datum nahezu unbeachtet blieb. Den Tenor der wenigen
Reaktionen faßte ein Kommentar zusammen, den die Washington Post mit folgenden Worten
zitierte: »Wenn das zum Sieg beigetragen hat, dann war es richtig.«
Im übrigen wurde Japan mit einer Flut scharfer Verurteilungen überschüttet, weil es versäumt
habe, seine eigene Schuld in angemessener Weise einzugestehen, hatte es doch einen
Militärstützpunkt in einer amerikanischen Kolonie bombardiert, die ihren Einwohnern ein
halbes Jahrhundert zuvor mit List und Gewalt entwendet worden war. Die Bombardierung
von Pearl Harbor war ein Verbrechen, doch läßt sich kaum behaupten, daß es im Vergleich
zu anderen Untaten ein besonders schwerwiegendes gewesen sei. In seiner offiziellen
Entschuldigung hatte Japan »aufrichtiges Bedauern für unsere Vergangenheit« geäußert, wozu
auch »Aggression und Kolonialherrschaft gehören, die [in China und anderen asiatischen
Ländern] unerträgliches Leid verursacht haben«. Diese Erklärung wurde in den USA mit bitteren
Worten angeprangert, und einige Artikel sprachen sogar von seltsamen Charakterfehlern der
Japaner, die es ihnen unmöglich machten, Schuld einzugestehen. Der wirkliche Grund lag
darin, daß in der Entschuldigung auch von Verbrechen anderer imperialistischer Mächte die
Rede war, womit implizit angedeutet wurde, daß die Niederlande, Großbritannien, Frankreich
und die Vereinigten Staaten ebenfalls keine blütenweiße Weste hätten. Das ging natürlich zu
weit, und man kam zu dem Schluß, daß die Japaner sich wieder einmal einem
Schuldeingeständnis entziehen wollten. Die Asiaten sahen die Sache zwar etwas anders und
hatten die Japaner zunächst sogar begrüßt, aber das zeigt nur, was für »fehlgeleitete Kreaturen«
sie sind.
In Europa entsprach die Bombardierung von Dresden in etwa der von Tokio und fand ungefähr
zur gleichen Zeit statt. Britische und US-amerikanische Luftangriffe zerstörten die Stadt mit
ihren vielen Kulturschätzen und töteten Zehntausende von Menschen. In Großbritannien
gab der 50. Jahrestag der Zerstörung von Dresden Anlaß zu einiger Gewissensprüfung, während
ich hierzulande nichts dergleichen finden konnte. Allerdings waren britische Städte damals
schweren Angriffen ausgesetzt, was die Vereinigten Staaten seit dem Krieg von 1812 nicht
mehr erlebt hatten. Die Briten hatten mit dem Erbe des Kriegs direkte Erfahrungen gemacht,
während die USA nach 1812 im eigenen Land nur noch ihren mörderischen Bürgerkrieg geführt
hatten. Eine allzu lange Liste siegreicher Eroberungen ist meiner Meinung nach nicht gut für
den Charakter, und ich glaube, die Geschichte kann dieses Urteil bestätigen. So war Hitler,
um ein neueres Beispiel zu nehmen, vor Stalingrad wahrscheinlich der beliebteste Politiker
der deutschen Geschichte gewesen.
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg war die Zivilbevölkerung das Hauptangriffsziel von
Kriegen, aber nun achtete man sorgsam darauf, daß sie wehrlos war und nicht zurückschlagen
konnte. Das schlimmste Beispiel ist der Krieg in Indochina. Erinnern wir uns an die
grundlegenden Tatsachen: Frankreich wollte, mit US-amerikanischer Hilfe de facto mit
den Leistungen des Marshallplans seine ehemalige Kolonie Südvietnam zurückerobern.
Dabei kam etwa eine halbe Million Vietnamesen ums Leben. 1954 zog sich Frankreich zurück,
und es kam zu einer diplomatischen Vereinbarung, die zunächst die Bildung einer
entmilitarisierten Zone und dann die mit freien Wahlen verbundene Wiedervereinigung des
Landes innerhalb von zwei Jahren vorsah. Wir wissen, wie die USA darauf reagierten; die
entsprechenden Dokumente sind freigegeben worden, nachdem sie zuvor schon von Daniel
Ellsberg in den »Pentagon Papers« veröffentlicht worden waren. Die USA waren strikt gegen
die Genfer Vereinbarungen. In einem internen Bericht des Nationalen Sicherheitsrats wurden
sie als »Katastrophe« bezeichnet, und die Vereinigten Staaten entschieden sich nur wenige
Tage später insgeheim dafür, die Umsetzung der Vereinbarungen zu
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