War against people
In
Wirklichkeit waren die fehlgeleiteten Kreaturen, sofern sie am Leben blieben, mit der
Abschlachtung einverstanden, wie ein führender amerikanischer Soziologe anhand seiner
These vom »Konsens ohne Zustimmung« (consent without consent) 2 erklärte. So ließe sich von einem Kind behaupten, daß es implizit damit einverstanden ist, von seinen Eltern daran
gehindert zu werden, auf eine verkehrsreiche Straße zu laufen. Später sieht das Kind ein, daß
dies nur zu seinem Besten geschah oder, anders gesagt, daß es dem Tun der Eltern »eigentlich«
zugestimmt hat. Das gilt auch für die fehlgeleiteten Kreaturen, die uns Widerstand leisten.
Diese Themen sind bis heute mehr oder weniger die gleichen geblieben, und das gilt auch
für den Nachhall der Indianerkriege. Die Erinnerung daran wurde während des Indochinakriegs
in der Militär- und Massenliteratur wiederbelebt. Während der US-Terrorkriege in
Mittelamerika in den achtziger Jahren erklärte die führende liberale Intellektuellenzeitschrift,
wir müßten unseren Auftrag durchführen, »egal, wie viele ermordet werden«. Nicht anders
dachten die selbsternannten Heiligen, die mit der Bibel in der Hand die Indianer von
Neuengland massakrierten, ebenso ihre Vorgänger und viele andere: die Mongolenhorden
von Dschingis Khan oder die Hunnen Attilas oder die Römer oder die Assyrer oder die
Hebräer bei der Eroberung von Kanaan. Die Liste ließe sich noch verlängern.
In der besonderen Grausamkeit der europäischen Kriegführung spiegelt sich die blutige
Geschichte von Europa selbst. Jahrhundertelang war es in den Zentren der westlichen
Zivilisation Frankreich und Deutschland - die höchste und edelste Berufung und Pflicht,
einander totzuschlagen. Dieser Auftrag endete 1945, aber nur, weil die von der europäischen
Zivilisation entwickelte Kriegswissenschaft ein so groteskes Ausmaß erreicht hatte, daß die
nächste Episode die letzte sein würde, weil dann niemand mehr da wäre, um die Erbschaft
des Kriegs in Chroniken oder Kunstwerken festzuhalten.
Das 20. Jahrhundert
Was die Welteroberung uns als Erbschaft hinterlassen hat, liegt auf der Hand. Beginnen wir
mit dem Offensichtlichsten: Die einzigen Regionen der Welt, die sich außerhalb von Europa
entwickeln konnten, hatten sich dem europäischen Zugriff entziehen können. Es sind die
Vereinigten Staaten, die sich nach ihrer Befreiung von England selbst dem Unternehmen
Welteroberung anschlossen, und Japan mit einigen Kolonien im Schlepptau. Man sollte darauf
hinweisen, daß Japan zwar eine ziemlich brutale Kolonialmacht war, aber seine Kolonien
besser behandelte als die anderen Imperialstaaten die ihren. Japan betrieb keinen Raubbau
und keine Zerstörung, darum erging es den Kolonien anders als etwa Bangladesch oder Haiti.
Sie konnten sich in ungefähr dem Tempo entwickeln wie das Mutterland selbst. Nach dem
Zweiten Weltkrieg gelang es ihnen, an das alte Wachstum wieder anzuknüpfen, und sie wurden
zum Zentrum des ostasiatischen Wirtschaftsbooms.
Im 20. Jahrhundert wurde, wie schon zu biblischen Zeiten, in der Ära der Kreuzzüge und in
anderen ungewöhnlich grausamen Perioden, die Zivilbevölkerung erneut zum vorrangigen
Zielobjekt der Kriegführung. Die Nazis betraten Neuland, indem sie den Völkermord
industrialisierten - und dabei war Deutschland die fortgeschrittenste Industriemacht der Welt
und eines der kulturellen Zentren des Westens. Militärische Angriffe auf die Zivilbevölkerung
erreichten ihren Gipfel mit der Bombardierung Deutschlands und Japans durch die Alliierten.
Das schrecklichste Ereignis vor Hiroshima und Nagasaki war der Abwurf von Brandbomben
auf Tokio im März 1945. Dabei kamen zwischen 80 000 und 200 000 Menschen ums Leben.
Man hatte keine Zeit, die Toten zu zählen, darum gehen die Schätzungen weit auseinander. In
der wehrlosen Stadt waren mehr als eine Million Einwohner obdachlos geworden. Die
Brandbomben waren so wirksam, weil Tokio fast ausschließlich aus Holzhäusern bestand.
Erwartungsgemäß entwickelte sich ein furchtbarer Feuersturm, der aus der Stadt ein Inferno
machte. Immerhin stand Tokio nun nicht mehr auf der Liste der Zielobjekte von Atombomben,
weil man in den USA erkannt hatte, daß eine weitere Zerstörung keinen Eindruck machen,
sondern nur noch mehr Leichen und Trümmer hinterlassen würde. Nach dem Krieg meinte
das US Strategie Bombing Survey, wo man sich mit den Folgen strategischer Bombardements
beschäftigte, daß
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