War against people
unterschiedlichen Theorien über Kennedys
Ermordung zu tun hat, aber die Dokumente sprechen eine eindeutige Sprache.
Im Februar 1965 eskalierten die USA den Krieg gegen Südvietnam erneut und begannen
nebenher, auf sehr viel niedrigerem Niveau, den Norden zu bombardieren. Das wurde in den
Vereinigten Staaten breit diskutiert: Sollen wir Nordvietnam angreifen? Demgegenüber fiel
die Bombardierung des Südens nicht ins Gewicht. Das gleiche gilt für die internen strategischen
Planungen, über die es mittlerweile Dokumente in reichlicher Zahl gibt, nicht nur die Penta-
gon-Papiere, sondern tonnenweise Geheimdokumente, die in den letzten Jahren für die
Öffentlichkeit freigegeben wurden. Es zeigt sich wiederum eine der wenigen wirklich
interessanten Enthüllungen der Pentagon-Papiere , daß es keine Planungen für die Eskalierung
des Bombenkriegs im Süden gab, während der Krieg gegen den Norden sorgfältig vorbereitet
wurde und man sich über den Zeitpunkt und den Umfang der Bombenabwürfe nachhaltig
Gedanken machte. Die dreimal so starke Bombardierung des Südens wurde kaum erwähnt.
Hier und da gab es einige eher zufällige Entscheidungen. McNamaras vor einiger Zeit
erschienene Memoiren bieten ein ähnliches Bild: Den Krieg gegen den Norden diskutiert er
ausführlich, der Süden wird nicht einmal erwähnt. Er teilt uns mit, was er am 21. Januar 1965,
einem sehr wichtigen Tag, getan hat: Es gab eine große Debatte um die Bombardierung von
Nordvietnam. Was er an diesem Tag sonst noch tat, sagt er nicht, wir wissen es aber aus
anderen Dokumenten: Er ordnete zum ersten Mal den Einsatz von Jet-Bombern an, um den
Luftkrieg gegen Südvietnam noch weiter zu eskalieren. Aber dazu findet sich bei ihm kein
Wort.
Der Grund dafür, daß der Krieg gegen Südvietnam im öffentlichen Bewußtsein und in den
geheimen Planungen keine Rolle gespielt hat, liegt für mich auf der Hand, und man sollte
ihm Aufmerksamkeit schenken, wenn man gewillt ist, in den Spiegel zu blicken. Die
Bombardierung von Nordvietnam war für die USA in mehrfacher Hinsicht eine teure
Angelegenheit. Zum einen in internationaler Hinsicht, denn Nordvietnam wurde als
eigenständiger Staat betrachtet, der in vielen Ländern Botschaften unterhielt. Außerdem gab
es die Gefahr eines Vergeltungsschlags. Die USA bombardierten eine chinesische
Eisenbahnlinie, die von Südwest- nach Südostchina führte und dabei durch
nordvietnamesisches Gebiet verlief. Die USA bombardierten sowjetische Schiffe und
Botschaftsgebäude. China und die Sowjetunion könnten zurückschlagen. Das war gefährlich
und mußte bei der Bombardierung Nordvietnams in Rechnung gestellt werden. Andererseits
war der in viel größerem Maßstab gegen Südvietnam geführte Krieg risikolos. Die
Südvietnamesen konnten sich nicht dagegen wehren. Folglich gab es zu der Zeit keine
Probleme und auch keine Proteste. Praktisch nichts. Die Proteste richteten sich fast
ausschließlich gegen die Bombardierung des Nordens. Der andere Krieg ist aus der Geschichte
fast vollständig verschwunden und findet weder in McNamaras Memoiren noch in anderen
Darstellungen Erwähnung. Und es gab, wie gesagt, dafür noch nicht einmal konkrete Planungen.
Nur eine beiläufige Entscheidung: Es kostet uns nichts, warum sollten wir also nicht ein paar
Leute umbringen? Es ist ein interessanter Vorfall, der uns eine Menge über die Denkweise
verrät, die sich von den frühesten Zeiten bis heute erhalten hat. Und hier handelt es sich
nicht um die weit zurückliegende Vergangenheit, nicht um Amalekiter oder Kreuzzüge oder
Dschingis Khan.
Der Krieg wurde also ausgeweitet; Laos und Kambodscha waren die nächsten Ziele. Auch
hier stand die Zivilbevölkerung im Zentrum der Angriffe. Der Brennpunkt blieb jedoch immer
Südvietnam. Dazu gehörte die großflächige Bombardierung des dichtbesiedelten Mekong-
Deltas wie auch Luftangriffe auf Gebiete südlich von Saigon, die vor allem Dörfer und Städte
im Visier hatten. »Auf diese Stadt«, so wurde entschieden, »lassen wir ein paar B-52-Bomber
los.« Umfangreiche Terroroperationen namens »Speedy Express« und »Bold Mariner« sollten
in erster Linie die Bevölkerung treffen, in der der Widerstand seinen Rückhalt besaß.
Man könnte sagen, daß das Massaker von My Lai bloß eine Fußnote zu einer dieser
Operationen und im Gesamtzusammenhang geradezu bedeutungslos war. Die Quäker hatten
in der Nähe eine Klinik eingerichtet und wußten
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