War da noch was - Roman
an der Jagd morgen teilnehmen würde, aber … Laura hätte mich doch wenigstens warnen können. Andererseits war ich ja auch fast die ganze Woche über nicht erreichbar gewesen. Vielleicht hatte sie es mir sogar mitteilen wollen, womöglich auch in der E-Mail, die sie mir geschrieben hatte? Frustriert warf ich mein Handtuch auf den Boden. Schlimmer hätte ich ja nun wirklich nicht aussehen können. Und vor allem hätte ich nicht schlimmer riechen können. Ich schauderte bei der Erinnerung. Nun ja, wenn ihn das nicht abschreckte, dann würde es auch nichts anderes tun, dachte ich, während ich mich in ein Abendkleid hüllte. Ich hielt inne. Starrte mein Spiegelbild in dem Standspiegel an. Wieso abschrecken? Er ist verlobt, Hattie. Und wovon sollte er überhaupt abgeschreckt werden, wenn er sich überhaupt nicht angezogen fühlte?
Nichtsdestotrotz nahm ich mir ungewöhnlich viel Zeit zum Schminken. Ich entfernte die Wimperntusche, als meine Wimpern verklebten, und trug sie erneut auf. Dann redete ich mir selbst ein, dass ich bei Dinner-Partys doch immer Parfum in den Kniekehlen trug. Und ich musterte mich sorgfältig im Spiegel, während ich die Perlen aus meinen Ohrläppchen entfernte und sie durch etwas mit mehr Glitzer ersetzte. Ich musste aufpassen: Subversives Verhalten und kleine Betrügereien waren
bei mir schon immer mal vorgekommen. Aber es war ja nicht nur ich, wie ich trotzig beschloss, während ich noch etwas mehr Lippenstift auftrug und die Lippen gegeneinander bewegte, um ihn zu verteilen. Etwas in seinen, in Hals, Augen hatte mich stutzig gemacht. Ich hatte es schon in Frankreich bemerkt, und trotz meines entsetzlichen Zustandes hatte ich es selbst aus den Tiefen des Rosenbusches auch heute wieder entdecken können. Etwas leuchtete von innen auf. Er hatte es dann schnell überspielt, aber nicht, bevor ich es bemerkt hatte. Er freute sich, mich zu sehen.
Wenige Minuten später ging ich mit flatterndem Herzen oben über die Galerie, die eine Hand strich über das Geländer, die andere glättete mein Kleid. Ich merkte, wie unglaublich nervös ich war. Mir war noch in meinem Zimmer aufgegangen, dass sie ebenfalls dort unten sein würde — Céline. Zweifellos. Und ich musste ihr vorgestellt werden, höflich Konversation betreiben und ein Lächeln aufsetzen. Und währenddessen vielleicht unentwegt denken: Das hätte ich sein können? Vielleicht sogar: Das hätte ich sein sollen? Ich blieb stehen, da mir der Gedanke für einen kurzen Augenblick den Atem verschlagen hatte. Dass ich so etwas überhaupt denken konnte!
Ich ging weiter und hörte bereits das gedämpfte Gläserklingen und Stimmen, die Geräusche des Empfangs, der in vollem Gange schien. Aber als ich oben an der Treppe anlangte, wurde ich wieder von Stimmen gestoppt, die diesmal viel näher waren. Sie kamen aus dem Zimmer, in dem mein Bruder immer schlief, wenn er hier war. Seine Stimme ertönte zusammen mit einer anderen sehr vertrauten Stimme. Lachen. Die Tür stand offen. Ungläubig schob ich sie auf.
Maggie saß auf dem Bett und hatte die Hände unter
das Kinn gestützt, während Kit in bodenlanger Soutane vor ihr auf und ab ging.
»Ooh, ja, super!«, juchzte sie, als er sich vor ihr drehte. »Eindeutig das Blau. Das passt zu deinen Augen. Oh — hallo, Hattie!«
Sie stand vom Bett auf und wirkte, wie ich fand, ein wenig verlegen. Sie küsste mich und überdeckte damit die kleine Verwirrung.
»Das Blau? Im Gegensatz wozu?«, fragte ich beiläufig und küsste meinen Bruder. »Hallo, Kit.«
»Zu Grau«, antwortete er ernsthaft. »Für den Sonntagsgottesdienst. Maggie findet, dass das Blau besser zu Erntedank passt.«
»Ach wirklich«, bemerkte ich trocken, denn ich kannte Maggie sehr gut. Erkannte den Glanz in ihren Augen, die geröteten Wangen. »Aber doch sicher nicht zum Dinner heute Abend, Kit?«, fragte ich leichthin.
»Oh, nein. Ich wollte mich eben umziehen. Also hinaus mit euch.« Er scheuchte uns beide nach draußen. »Ich wollte es Maggie nur zeigen, weil sie sich dafür interessiert hatte.«
Bestimmt hat es sie brennend interessiert, dachte ich, während sie vor mir dahineilte, begierig darauf, unten weiterzufeiern. Sie trug eine elegante Seidenhose und ein elfenbeinfarbenes Top und plapperte irgendwelchen Unsinn vor sich hin, wie amüsant mein Bruder sei. Aber sie kam nicht sehr weit, da in genau diesem Augenblick Mr de Granville aus einem anderen Gästezimmer auftauchte. Sie blieben stehen, starrten einander unverwandt an
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