War da noch was - Roman
sogleich zum Spiegel, um zu sehen, was er gesehen hatte. Rosige Wangen, glänzende Augen: Wir waren beide entbrannt. Ich lächelte. Und was nun? Würde er — und das war wirklich aufregend – sich heimlich über den Flur zu mir schleichen?
Ich putzte mir gründlich die Zähne und schminkte mich ab, bis auf die Wimperntusche. Wählte dann nicht mein altes Schlaf-T-Shirt, sondern ein sehr hübsches weißes Baumwollnachthemd, das ich in Frankreich gekauft hatte. Ich legte mich ins Bett und lag mit klopfendem Herzen da. Moment. Vielleicht sollte ich mich kurz waschen. Katzenwäsche, wie Mum immer sagte. Noch immer ein wenig klamm, sprang ich schnell ins Bett zurück. Würde er das komisch finden? Dass ich mich gewaschen hatte? Feucht war? Ich sprang wieder heraus und trocknete mich gründlich ab.
Die Minuten vergingen. Verstrichen langsam. Sei nicht albern, Hattie, er ist nicht so. Er ist reif, vernünftig. Er ist all das, woran es in deinem Leben bisher gefehlt hat, alles, was dein Leben haben sollte, alles, was du brauchst. Ich seufzte vor Erleichterung in der Dunkelheit. Nach all den Jahren dort draußen. Komm herein, Hattie Carrington, du hast es geschafft. Ich fühlte mich so warm, so geborgen, dass es mich nicht überrascht hätte, wenn ich beim Einschlafen ein glückseliges Lächeln auf dem Gesicht gehabt hätte, wie eine verlorene Seele, die gesalbt wurde. Oder schlicht und einfach wie ein satter Säugling.
Eine Stunde später wurde ich von einem leisen Kichern und Flüstern draußen geweckt. War er das? Sofort war ich hellwach und schoss in einer einzigen, flüssigen Bewegung
zur Tür und öffnete sie rechtzeitig, um gerade noch eine unbestimmte männliche Person über die Galerie verschwinden und dann Maggies Tür leise zugehen zu sehen. Aha. Heimliches über den Flur Schleichen stand bei ihr anscheinend immer noch auf dem Programm. Ich fiel ins Bett zurück und sofort in einen tiefen Schlaf.
Der folgende Morgen begann hell und kühl. Ein leichter Nebel hob sich bereits von den Hügeln, die Sonne bahnte sich einen Weg und schien zu den Fenstern herein. Es war Samstag, der Tag der Jagd. Das Frühstück war im Speisezimmer angerichtet – die Küche war angesichts einer so großen Gesellschaft für zu klein befunden worden –, und als ich nach unten kam und den großen, getäfelten Raum betrat, lief Hal dort bereits in Kniebundhosen herum und sah aus wie Jane Austens Mr Darcy. Fast wäre ich ohnmächtig geworden vor Aufregung. Biba und Daisy servierten einer Gruppe von stillen, verkaterten Gästen, die sich hinter ihren Zeitungen versteckten, das Frühstück am Tisch, während Hal sich an der Anrichte selbst mit Schinken bediente und gerade einen silbernen Deckel zurücklegte.
»Morgen.« Das Lächeln, das er mir schenkte, als er mit seinem Schinken und Nierchen auf dem Teller an den Tisch zurückkehrte, ließ mein Herz Purzelbaum schlagen.
»Morgen«, hauchte ich.
Was, das soll alles meins sein?, sagte mein Hirn. Ich betrachtete seine Größe und seine Statur, als er sich hinsetzte. Dieser gut aussehende, stattliche Mann, gekleidet in teuren Harris-Tweed und mit edlen Schuhen. Aber ich würde nichts überstürzen. Würde mir nicht sofort einen Platz neben ihm am Frühstückstisch sichern, wie ein
dummes kleines Schulmädchen. Würde mir Zeit lassen, ein paar Worte zu wechseln mit dem alten Herrn, der neben mir am Büfett stand und irgendetwas von dem schönen Wetter faselte, während ich mir mein Rührei holte. Würde die Rolle der Über-Aufgeregten Maggie überlassen, die soeben hereingeplatzt kam und sich zu mir gesellte in dem, was sich der Londoner so unter Country-Kleidung vorstellte — enger, schwarzer Kaschmir-Pullover und hautenge Jeans, die in teuren Russel-&-Bromley - Reitstiefeln steckte.
»Ist das nicht der Wahnsinn hier?«, hauchte sie. »Ich komme mir die ganze Zeit vor wie in Gosford Park !«
»Kam da auch viel Sex vor?«, fragte ich leise.
»Was?« Sie runzelte verwirrt die Stirn. »Nein, ich glaube nicht. Oder falls doch, dann war es ganz im Verborgenen und unterdrückt – warum?«
»Ach, ich dachte nur.«
»Ich meinte eher so was wie Tweed-Knickerbockers und Nierchen zum Frühstück.«
»Ach so.« Ich nickte, als würde mir ein Licht aufgehen. »Das meintest du.«
»Sieh dir nur deinen Bruder an!«, flüsterte sie und hielt meinen Arm umklammert. »Sieht er nicht göttlich aus?«
Kit war erschienen, offenbar direkt aus der Dusche, denn seine Haare wirkten noch ein wenig
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