War da noch was - Roman
kontrollierten Schwung seines Körpers, der der Flinte folgte, während seine Füße fest auf dem Boden blieben. Ich wollte mich unterhalten, um meine Stimmung zu heben, aber das tat man nicht. Die eine oder andere Bemerkung, ja, aber kein unablässiges Gerede, während der Mann beschäftigt war. Dein Mann. Mein Mann. Ich fühlte mich schon besser. Mum würde sich so freuen, dachte ich, als ich sie auf der Position zu meiner Linken lachen hörte. Sie stand hinter dem ziemlich gutaussehenden, silberhaarigen Angus Harrison. Ich musste lachen, als sie anerkennend die wildlederbehandschuhten Hände zusammenschlug. Hübsch. Mum konnte
flirten, was das Zeug hielt, aber das war auch alles. Sie hätte eigentlich Französin sein müssen. Sie hatte dieses typisch französische Vergnügen daran, Männer in ihren Bann zu ziehen, aber für sie selbst gab es nur meinen Vater, der das auch immer seelenruhig zur Kenntnis nahm – ja, man konnte sogar sagen, es gefiel ihm, dass seine noch immer sehr attraktive Frau derart viel Aufmerksamkeit auf sich zog. Vertrauen. Ja, das war es. Gegenseitiges Vertrauen und Liebe. Und vor allem Freundlichkeit. Das alles besaßen meine Eltern. Ich sah zu, wie Mr Harrison einen weiteren Vogel schoss. Mum jauchzte. Lächelnd wandte er sich zu ihr um, erfreut, warf seine silbernen Haare zurück. Er mochte werfen, so viel er wollte: In ein paar Stunden würde Mum mit Dad zusammen in ihrem klapprigen alten Datsun zu ihrem Haus in London zurückkehren und keinen einzigen Gedanken mehr an Mr Harrison verschwenden. Sie war genau wie Laura eine Frau, für die es nur einen Mann gab, aber obwohl Laura das gute Aussehen unserer Mutter im Überfluss geerbt hatte, besaß sie nicht die Selbstsicherheit zum Flirten. Sie war bei Partys immer direkt an Hughs Seite. Nicht, dass sie schüchtern gewesen wäre, sie beherrschte nur einfach nicht die Kunst, ganz harmlos die Gesellschaft anderer Männer zu genießen. Denn es war eine Kunst, entschied ich, während ich zusah, wie meine Mutter den Kopf zurückwarf und über etwas lachte, das Angus gesagt hatte. Sie sah mich und winkte.
»Alles okay, mein Schatz?«
Ich lächelte. »Ja, danke.«
Für mich würde es auch nur einen Mann geben, dachte ich und starrte auf Hals breite Schultern. Wieder brannten diese lästigen Tränen in meinen Augen. Ich hatte mich einfach in den falschen Mann verliebt. In seinen Bruder,
der verheiratet war, und hatte nie aufgehört, ihn zu lieben, selbst nachdem er tot war. Über Jahre. Viele Jahre. Ich dachte an die Schachtel in meinem Kleiderschrank, die voll war mit Zeitungsausschnitten, die ich immer am Jahrestag seines Todes hervorholte, um darüber zu brüten, und auch an seinem Geburtstag und bei jeder sonstigen sich bietenden Gelegenheit. Bis vor Kurzem hatte ich das getan. Bis … nun ja, es hing wohl damit zusammen, dass ich mich irgendwann besser gefühlt und neue Leute kennengelernt hatte. Diesen Gedanken fasste ich zaghaft, formulierte ihn ganz vorsichtig, auch wenn es nur mir selbst gegenüber war: zu meinem eigenen Schutz. Selbsterhaltung, darum ging es doch nur, und wenn ich mich jetzt schützen wollte, damit ich nicht verletzt werden konnte, dann brauchte ich Hal an meiner Seite. Erleichtert atmete ich aus, ganz langsam. Oh, wie unsagbar glücklich ich sein würde und wie sicher. Ja, so sicher und geborgen, dass ich mich schon fragte, ob ich jemals richtig mit Seffy sprechen würde. Der Gedanke erschütterte mich: die Möglichkeit, dass ich jemals den Mut aufbringen würde. Aber mit Hal neben mir, mit seiner ruhigen, bedächtigen Art, vielleicht, ja, vielleicht würde ich dann die Kraft aufbringen.
Was immer ich noch gedacht hätte an jenem strahlenden, sonnigen Tag, während ich so auf meinem Baumstamm hinter Hal saß, die Hände fest in meinem Schoß vergraben, worüber ich sinniert oder was ich zu tun beschlossen hätte, kam nie zum Tragen, denn plötzlich ertönte ein Schrei durch das Tal. Ein entsetzlicher, durchdringender Urschrei. Der Schmerzensschrei eines Mannes.
Alles hielt inne. Die Schüsse, das Geraschel der herabstürzenden Vögel, die dumpfen Geräusche beim Aufprall,
die Treiber, die gegen die Baumstämme schlugen und durch das Unterholz brachen, während sie sich auf uns zubewegten. Hal und ich fuhren herum. Neben uns rannte Mr Harrison bereits zur nächsten Position hinüber, zu seinem Nachbarn Luca, der, wie ich sehen konnte, auf dem Boden lag. Er lag auf dem Rücken und war über und über mit Blut
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