War da noch was - Roman
beschmiert. Blut strömte von seinem Gesicht, von seinem Hals, rot und frisch. Er lag bewegungslos da. Daisy stand über ihm, hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und schrie. Sie stieß einen langen, durchdringenden Schrei nach dem anderen aus, Mädchenschreie, ganz anders in Ton und Tonhöhe als der, den wir soeben gehört hatten, aber genauso erschreckend. Zwischen ihnen lag die Flinte auf dem Boden, aus der es noch immer qualmte.
26
I ch sprang auf die Füße und rannte hinter Hal her. Vor uns fiel Angus Harrison bereits neben Luca auf die Knie.
»Ist er tot? Ist er tot ?« Daisy wich jetzt mit vor Entsetzen verzerrtem Gesicht zurück. Lucas Arme lagen ausgebreitet da wie bei einem Kruzifix, seine Beine waren gespreizt. Angus’ Kopf lag seitlich auf Lucas Brust, er horchte nach dem Herzschlag.
»Nein«, sagte er schließlich. »Er ist nicht tot. Jemand muss einen Krankenwagen rufen – schnell!«
Ich zog mein Handy aus der Tasche und wählte die Notrufnummer mit fliegenden Fingern. Hal war jetzt ebenfalls auf den Knien neben Luca und versuchte mit einem zusammengeknüllten Taschentuch den Blutstrom zu stoppen. Sofort breitete sich ein roter Fleck auf dem weißen Stoff aus wie auf Löschpapier. Der Restder Jagdgesellschaft kam von allen Seiten des Tales herbeigelaufen.
»Was ist hier los?«, rief Hugh barsch und warf mit bleichem Gesicht sein Gewehr beiseite, während ich darauf wartete, dass die Notrufzentrale sich meldete.
»Es ist explodiert!«, heulte Daisy und schüttelte ihre Hände in der Luft, als wären sie nass. »Das Gewehr ist einfach explodiert, in sein Gesicht!«
»Notarzt«, hauchte ich, als eine ruhige, weibliche Stimme fragte, welche Art von Notruf ich tätigen wollte.
»Beide Läufe sind kaputt«, sagte Hal mit einem Blick auf das Gewehr, das verbogen und aufgeplatzt wie eine Bananenschale dalag, ein entsetzlicher Anblick.
»Hier ist ein Unfall passiert«, sprach ich mit Mühe ins Handy, während immer mehr Leute herbeikamen, entgeistert hinschauten, um dann die Hände vor den Mund zu schlagen und zurückzuweichen. Man fragte mich nach näheren Details, und ich bemühte mich, meine Stimme ruhig zu halten. »Ein Jagdunfall. Wir sind auf dem Gelände von Saxby-Abbey in Little Crandon.«
»Oh mein Gott!« Laura war eingetroffen und sank atemlos neben ihrem Stiefsohn auf die Knie. Ich sah Maggie, die schockiert zurückwich genau wie alle anderen, die sich hier inzwischen versammelt hatten, sich aber im Hintergrund hielten, ohne sich fassungslose Blicke verkneifen zu können. Einer, ein Arzt, wie er sagte, bahnte sich ruhig und bestimmt einen Weg durch die Menge. Es war ein älterer Herr mit schneeweißen Haaren und einer kleinen Wampe wie ein Mönch. Er hockte sich hin, erteilte Anweisungen, zog sich die Krawatte aus und benutzte sie, um Hal zu helfen.
Laura war jetzt neben mir, packte meinen Arm und schüttelte ihn. »Hast du den Notarzt gerufen?«
»Nein, das Dorf heißt Little Crandon«, sagte ich und versuchte, nicht in Panik zu verfallen. Ich schloss die Augen und hob die Hand, um sie zurückzuhalten, ich musste mich konzentrieren. »Aber wir sind auf dem Anwesen der Abbey, irgendwo draußen. Ich weiß nicht genau, wo, und ich weiß auch nicht, wie ein …«
»Hier.« Hugh nahm mein Handy. Ich hörte zu, wie er genau beschrieb, wie der Krankenwagen zu uns kommen konnte, erst über eine kleine Straße, dann einem Feldweg folgend. »Aber weiter ins Tal werden Sie nicht kommen —
beeilen Sie sich.« Er reichte mir das Telefon zurück. »Wir müssen ihn auf den Hügel schaffen.«
»Können wir ihn bewegen?«
Fragend wandten wir uns an den Arzt.
»Uns bleibt nichts anderes übrig«, erwiderte er und blickte uns mit ernstem Gesicht an. »Er verliert zu viel Blut, als dass wir darauf warten könnten, dass die Sanitäter kommen und ihn auf einer Trage hinaufbringen. Holt ein Allradfahrzeug her – sofort.«
Jemand eilte davon, um einen Geländewagen zu holen. Wir waren in einem tiefen Tal mit steilen Hängen, wie ein tiefer Einschnitt; ein wunderschönes, sonnenbeschienenes Tal, meilenweit von der nächsten Straße entfernt.
Daisy schluchzte jetzt in den Armen ihrer Mutter, während Seffy und Biba atemlos herbeigelaufen kamen, ihre jungen Gesichter blass und entsetzt. Biba schrie auf und legte die Hand vor den Mund, ihre Augen waren weit aufgerissen vor Schreck. Während ich rasch hinüberging, um sie zu trösten, sah ich Seffy. Er hielt Cassie im Arm, die das Gesicht abgewandt
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