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War da noch was - Roman

War da noch was - Roman

Titel: War da noch was - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Alliott
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Dabei versuchte ich, nicht mehr über meinen kleinen Bruder nachzudenken, dessen Abenteuer sich in einen Albtraum verwandelt hatte.
    Eigentlich hatte er nach dem Schulabschluss einen Monat in Florenz verbringen wollen, gefolgt von zwei Wochen Rundreise durch Italien, gemeinsam mit einem Schulfreund. Aber der Cousin dieses Freundes arbeitete für die UN, und so hatte der nach Ablauf der sechs Wochen verkündet, er wolle über die Grenze und seinem Cousin in Kroatien helfen. Das Rote Kreuz brauchte Freiwillige, meinte er, und er könnte sich nicht noch mehr Botticellis ansehen oder Bellinis trinken, während kaum mehr als ein paar hundert Kilometer entfernt ein Krieg im Gange war. Ich konnte mich gut an den Jungen erinnern: sehr intelligent, zielgerichtet, auf dem Weg nach Oxford, und mir war klar, dass er zutiefst von dem überzeugt war, was er tat. Kit dagegen war ein unbeschwerter, gut aussehender, möglicherweise sogar leichtlebiger Kerl, der gewiss völlig unbeleckt von sozialem Gewissen war, aber er fuhr mit, weil es sich eben so anbot, weil es ihn juckte.
    »Kannst du dir vorstellen, wie das in meinem Lebenslauf aussehen wird? Wie viele andere aufstrebende Werbeleute werden einen Hilfseinsatz in Sarajevo in ihrer Vita haben«, hatte er am Telefon aus Florenz zu Dad gesagt. »Das gibt doch mehr her als ein Praktikum bei Harrods,
findest du nicht?« Er hatte letztlich verdammt viel mehr in seinen Lebenslauf bekommen, als er sich hätte träumen lassen.
    Meistens hörten wir nichts von ihm, aber wenn er einmal anrief, klang er angespannt, weit weg. Letzten Abend hatte er mich auf dem Handy erwischt, und wir hatten ganz betont über Nebensächlichkeiten gesprochen, Lauras neue Wohnung, seinen Sonnenbrand.
    Aber dann sagte er plötzlich ins Blaue hinein: »Wusstest du, dass es hier Konzentrationslager gibt?« Seine Stimme versuchte dabei, ganz sachlich zu klingen. »Jedenfalls sagt man das. Die Geschichten, die man da hört, die irgendwie durchsickern …« Dabei hatte seine Stimme versagt, und ich hatte mich ganz gerade hingesetzt. »Und wir hier, das Rote Kreuz. Gott, was klingt das toll, oder? Rotes Kreuz – fast wie die Siebte Kavallerie oder so, als würden wir mit Krankenwagen angebraust kommen. Aber wir sind so wenige, es ist so klein hier, winzig. Und … und überhaupt, was kann man schon tun?« Mein kleiner Bruder. Er klang so furchtbar verloren und so weit weg.
    Ich schüttelte mich innerlich, während ich an der Seite von Dominic in seinem Alfa Romeo über die Landstraßen brauste und Zweige seitlich das Auto streiften. Versuchte all die düsteren Gedanken an Lager und Krankenwagen abzuwerfen. Ich wollte da nicht hin. Wo Kit war: in einem staubigen, vom Krieg gebeutelten Land voller Verzweiflung. Ich wollte hier sein, jetzt, neben meinem attraktiven neuen Chef in seinem sexy Cabrio, auf dem Weg zu seinem Landsitz. Ich wollte, dass mein Leben optimistisch war und vor Möglichkeiten strotzte.
    Nach einer Weile wurden die Straßen noch enger. Eine hatte, wie ich bemerkte, sogar einen mit Gras bewachsenen
Mittelstreifen. Jetzt waren wir wirklich in der Pampa.
    »Da sind wir«, verkündete er und fuhr durch ein offen stehendes Holztor.
    In der Mitte einer gekiesten Auffahrt stand ein rosa Haus, lang gestreckt, reetgedeckt und mit vielerlei Grünzeug bewachsen. Kletterrosen umrankten die beiden Erkerfenster auf jeder Seite der Tür. Es war schön und doch bescheiden. Keine Angebervilla, sondern ein gemütliches Heim von der Sorte, die Laura und ich am liebsten als Zuhause gehabt hätten. Ich stieg aus und gab mir Mühe, nicht allzu bezaubert auszusehen.
    Letty hatte den Wagen schon gehört und kam an die geöffnete Haustür. Sie trug abgeschnittene Jeans, ein übergroßes Herrenhemd und war barfuß. Ohne die Absätze, die sie bei der Examensfeier getragen hatte, war sie, wie ich feststellte, winzig. Ihre langen, blonden Haare waren etwas zerzaust, und ihre großen, leuchtend grauen Augen waren wunderschön. Ich kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Sie hieß uns herzlich willkommen, bat mich ins Haus und gab Dominic einen Kuss; er jedoch umarmte sie fest und knutschte sie regelrecht ab, was mich überraschte.
    »Wir sind nicht immer so, wenn wir uns sehen«, versicherte sie mir, als sie mein Gesicht sah, »aber ich war die ganze Woche hier draußen.«
    »Oh, natürlich.«
    »Normalerweise komme ich nach London rein, aber mir ging es bescheiden, und da dachte ich, ich würde lieber in einem schattigen

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