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War da noch was - Roman

War da noch was - Roman

Titel: War da noch was - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Alliott
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gesträhnte Haarpracht nach hinten warf.
    Möglicherweise hatte sie den Anflug von Erkenntnis bemerkt, der über mein Gesicht huschte, denn sie fügte eilig hinzu: »Natürlich müssen Sie jetzt auch Letty einmal kennenlernen. Sie ist ganz reizend und ausgesprochen nett.«
    Nun ja, ich hatte sie ja bereits bei der Examensfeier kennengelernt, aber schon am kommenden Freitag sollte ich ihr noch einmal begegnen.
    Dominic hielt es für wichtig, dass ich einen Gesamt-überblick über den Job bekam, und das bedeutete auch, ihn in seinen Wahlkreis zu begleiten, wohin er fast jeden Freitag verschwand. Wer hätte da nein sagen können? Anscheinend hatte er dort seine Sprechstunde.
    »Das klingt ja, als wären Sie Arzt«, sagte ich, als wir
in seinem ziemlich schicken, sportlichen Wagen die M40 Richtung Thame entlangsausten. Er sah selbst ziemlich schick und sportlich aus in Jeans, einem karierten Hemd über einem weißen T-Shirt, mit aufgekrempelten Ärmeln, die gebräunten Arme am Lenkrad. So ganz anders als der durchschnittliche Abgeordnete, dass es mir fast den Atem verschlug. Ich hob meine Beine ein wenig auf dem Sitz neben ihm, damit sie weniger dick aussahen.
    »Nun ja, irgendwie ist es auch gar nicht so unähnlich. Die Leute vor Ort kommen zu mir mit ihren Sorgen, und ich versuche ihnen zu helfen. Das Problem ist, dass sie, wenn sie schließlich zu mir kommen, schon alles andere probiert haben. Ich bin ihre letzte Hoffnung. Sie haben sich schon mit dem Gemeinderat oder der Schule oder irgendeiner anderen örtlichen Behörde auseinandergesetzt, aber ich tue, was ich kann. Und um ehrlich zu sein, ist es das, was ich an meinem Job am liebsten habe, da scheint es mir ein wenig wie …«, er zögerte.
    »Wie eine Berufung?«, schlug ich vor.
    »Ja.« Er warf mir einen erfreuten Blick zu. »Wenn ich etwas erreichen kann, würde ich am liebsten Luftsprünge machen. Dann habe ich wirklich das Gefühl, etwas bewegen zu können.«
    Ich merkte, dass ich ihn anstarrte und machte den Mund zu.
    »Obwohl da natürlich auch ein paar schräge Vögel auftauchen, die immer wiederkommen, und man weiß genau, dass es sowieso aussichtslos ist, ihnen zu helfen. Barking Brenda ist das Kreuz, das mir auferlegt wurde. Sie betreibt den Dorfladen und glaubt, der wäre von Geistern heimgesucht. Ich soll die austreiben. Die Kirche distanziert sich davon, aber sie ist überzeugt, dass sich die Gegenstände von selbst bewegen – Tomatendosen wandern
in die Gefriertruhe, das Shampoo taucht mysteriöserweise im Kühlschrank auf. Dabei ist sie es selbst, die die Sachen dort hingestellt hat, aber das vergisst sie immer.«
    »Ach, wie traurig.«
    »Sehr, und eigentlich gehört sie in ärztliche Behandlung, aber dann wird sie vielleicht in irgendein Heim gesteckt, und ob das wirklich sein muss? Dann verliert sie vermutlich ihren Laden, in dem sie ihr Leben lang gearbeitet hat.« Er schüttelte den Kopf. »Das ist eine heikle Geschichte, aber wenn alle an einem Strang ziehen – der Abgeordnete, der Arzt, der Pfarrer – dann können wir ihr vielleicht doch helfen, und so sollte es sein. Dass alle zusammenarbeiten, um eine bessere Gemeinschaft, ein besseres Zusammenleben für alle zu schaffen.«
    Es kam mir vor, als wären ihm die Haare bis auf die Schultern gewachsen und als trüge er weiße, wallende Gewänder und einen Heiligenschein um den Kopf. Er war der Heiland, kein Zweifel. Ich arbeitete für einen Heiland, der auf die Erde gekommen war im Körper von Johnny Depp.
    Inzwischen lenkte er den Wagen geschickt über gewundene Landsträßchen, die Sonne im Gesicht. Plötzlich fiel mir ein, dass ich ja selbst von einem Familienmitglied erzählen konnte, der seiner Berufung folgte.
    »Mein Bruder Kit fühlt genauso. Von wegen etwas zurückgeben und so. Er ist in Bosnien.«
    »Ach wirklich?« Er wandte sich überrascht um.
    »Arbeitet für das Internationale Rote Kreuz. Er ist achtzehn. «
    »Meine Güte, das ist aber mutig. Auch wenn die unter diplomatischem Schutz stehen, ist es ganz schön gefährlich dort.«
    »Ich weiß.« Augenblicklich zog sich alles in mir zusammen.
Ich wollte nicht hören, wie mutig Kit war. Wollte nicht, dass mir von einem, der es wissen musste, bestätigt wurde, welcher Gefahr er ausgesetzt war. Ich wünschte nun, ich hätte nichts gesagt. Aber Kit hatte am Abend zuvor angerufen, und so hatte ich an ihn denken müssen. Ich drehte den Kopf, um aus dem Fenster zu schauen und einer Fortsetzung des Gesprächs aus dem Weg zu gehen.

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