War da noch was - Roman
verfolgt.«
Er lachte leise auf. »Wenn du es als Verfolgen bezeichnen willst, dass ich einmal pro Jahr bei einem beliebten Fest hier im Ort, zu dem ich ohnehin gehen würde, nach dir Ausschau halte, dann hast du wohl recht. Aber ich würde es nicht als besonders konzentrierte Verfolgungsaktion bezeichnen.«
»Aber als wir uns neulich getroffen haben, da schienst du nicht besonders …«
»Freundlich? Nein, aber ich war einfach total überrascht, dich so plötzlich dort zu sehen. Ich hatte meine
Rede nicht parat, so wie hier. Außerdem waren da noch so viele andere Leute drumherum.«
Der Kellner kam mit unseren Getränken und zwei Tellern mit Saucissons . Ich sah zu, wie Hal noch ein paar Worte in fließendem Französisch mit ihm wechselte und lächelte. Ja, Laura hatte recht. Er sah gut aus. Sehr gut. Er war ein bisschen voller geworden. Und seine Augen wirkten weniger bohrend und drängend, hatten mehr Ausstrahlung, mehr Selbstsicherheit. Was natürlich eine Frage des Alters war.
»Was ist mit deiner Rede …?«, fragte ich, nachdem der Kellner gegangen war.
»Ich … ich möchte mich entschuldigen. Für das, was ich damals geschrieben habe. Und für mein Schweigen hinterher. Der Ball war eindeutig in meiner Hälfte, was eine Versöhnung anbetraf. Wir sind jahrelang Freunde, gute Freunde gewesen, und ich … hatte kein Recht, dich derart zu verurteilen. Es tut mir leid.«
Es war eine schlichte, ehrliche kleine Rede, die von Herzen kam, und deswegen war sie anrührend. Ja geradezu entwaffnend.
»Du hattest alles Recht dazu«, sagte ich langsam. »Ich habe mich schlecht benommen. Dir gegenüber und Letty …« Ich spürte, wie ich unter seinem Blick errötete. »Du hattest alles Recht, Hal.«
Es folgte ein Schweigen. Mir kam es vor, als reisten wir gemeinsam ein Stück in der Zeit zurück.
»Du warst jung«, sagte er schließlich. »Du hast einen Fehler gemacht.«
Komisch. Selbst nach all den Jahren hatte ich Dominic nie als Fehler betrachtet. Hätte nichts daran ändern wollen. »Ich war jung«, pflichtete ich ihm bei, »aber du warst mit Recht wütend auf mich.«
»In dem Augenblick vielleicht, aber nicht nach sechs Monaten oder einem Jahr. Und ganz sicher nicht sechzehn Jahre später. Freunde können vergeben, können sich versöhnen. Ich habe es immer bedauert, das nicht getan zu haben.«
»Aber je mehr Zeit vergeht, umso schwieriger wird es. Das verstehe ich. Es ist schön, dich zu sehen, Hal.«
Das war es. Und wie wir uns so anlächelten, beide erleichtert, dass das nun überstanden war, wurde mir klar, dass er mir gefehlt hatte. Er war mein bester Freund gewesen, aber ich hatte die Erinnerung an ihn jahrelang verdrängt. Es hatte wehgetan, damals, seine Freundschaft zu verlieren, aber nicht so sehr wie alles andere, was mich damals schmerzte. Ich hatte seinen Bruder so sehr geliebt, dass alles andere nahezu unbedeutend schien. Dominic zu verlieren oder vielmehr, ihn nicht haben zu können, hatte mich ganz vereinnahmt. Aber während wir uns nun unterhielten über alte Zeiten, neue Zeiten, und so Vieles dazwischen, über den Wert dessen, was uns einst verbunden hatte, eine seltene und wertvolle Freundschaft zwischen Mann und Frau ohne Sex, da spürte ich, wie etwas in mir zurückkehrte, eine Wärme, die ich vermisst hatte. Es war, als würde man eine zerkratzte alte Münze vorsichtig polieren, bis sie wieder anfing zu glänzen.
Nach einer Weile sprudelten die Worte nur so aus uns heraus, konnten gar nicht schnell genug hervorkommen: Was wir die ganze Zeit gemacht hatten, ich mit meinem Laden, er als Rechtsanwalt, nichts mit Menschenrechten – zu langweilig, zu weltverbessernd – er war jetzt ein Top-Anwalt in einer großen Kanzlei in London.
»Du hast deine Seele verkauft!«, sagte ich spöttisch.
»Dazu musste man mich nicht allzu lange überreden«,
sagte er mit einem schiefen Grinsen. »Obwohl ich immer noch als ehrenamtlicher Rechtsbeistand arbeite.«
»Um dein schlechtes Gewissen zu beruhigen«, erwiderte ich, »das du schon immer hattest.«
Er lachte. »Das ich schon immer hatte.«
Während sein Lachen langsam abebbte, fixierte er mich mit festem, warmherzigem Blick über den Tisch hinweg.
»Und was ist mit dir, Hattie? Erzähl mir alles, was seit damals geschehen ist.«
Ich erzählte ihm von Kroatien, von meinem eigenen schlechten Gewissen. Dass ich das Gefühl hatte, dort hingehen zu müssen. Ich erzählte ihm von Kit und davon, wie ich mit Seffy nach Hause gekommen war. Er
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