Warm Bodies
Frage.
Julie zieht die Stirn kraus. » Wir kommen raus. Zweimal im Monat.«
»Ich weiß, aber …«
Sie wartet. »Was, Perry?«
»Hast du dich schon mal gefragt, ob es das überhaupt wert ist?« Ich deute vage auf die Mauern. »All das?«
Ihr Gesicht wird spitzer.
»Ich meine, sind wir hier drinnen wirklich so viel besser dran?«
»Perry«, blafft sie mit unerwarteter Heftigkeit. »Red nicht so, fang, Scheiße noch mal, erst gar nicht so an.«
Auf einmal ist es ganz still hinter uns, und sie zuckt zusammen. »Tut mir leid«, raunt sie den Kindern in Verschwörerton zu. » Böse Worte .«
»Scheiße!«, ruft mein kleiner Freund, und die ganze Reihe bricht in Gelächter aus.
Julie verdreht die Augen. »Super.«
»Tss tss.«
»Du hältst den Mund. Ich meine es ernst. Das sind böse Worte.«
Ich sehe sie unsicher an.
»Wir kommen zweimal im Monat raus. Öfter, wenn wir bei einer Bergung dabei sind. Und wir bleiben am Leben.« Es klingt wie ein Bibelvers oder ein altes Sprichwort. Sie wirft mir einen flüchtigen Blick zu, als würde sie ihren eigenen Mangel an Überzeugung spüren, dann schaut sie wieder nach vorn. Ihre Stimme wird leise. »Keine bösen Worte, wenn du beim Wandertag mitwillst.«
»Sorry.«
»Du bist noch nicht lang genug hier. Du bist an einem sicheren Ort aufgewachsen. Du kennst die Gefahren nicht.«
Dunkle Gefühle durchströmen meinen Bauch, wenn ich das höre, aber ich halte meine Zunge im Zaum. Ich kenne den Schmerz nicht, von dem sie redet, aber ich weiß, dass er tief sitzt. Er macht sie hart und zugleich so schrecklich weich. Es sind ihre Dornen und es ist ihre Hand, die aus dem Dickicht ragt.
»Sorry«, sage ich wieder und stupse sie an, bis sie ihre Hand aus der Tasche ihrer Jeans zieht. Die Hand ist warm. Meine kalten Finger legen sich um ihre, und vor meinem inneren Auge scheint das unwillkommene Bild von Tentakeln auf. Ich blinzele es weg. »Keine bösen Worte mehr.«
Die Kinder sehen mich erwartungsvoll an, große Augen, makellose Wangen. Ich frage mich, wer sie sind und was sie bedeuten und was ihnen zustoßen wird.
»Dad.«
»Ja?«
»Ich glaube, ich habe eine Freundin.«
Mein Dad senkt das Notizbrett und rückt den Bauhelm zurecht. Ein Lächeln stiehlt sich in seine tiefen Falten. »Tatsächlich?«
»Ich glaube ja.«
»Wen?«
»Julie Grigio.«
Er nickt. »Ich hab sie kennengelernt. Sie ist – hey! Doug!« Er beugt sich über die Reling und schreit einen Arbeiter an, der einen Stahlmast trägt. »Das ist ein Vierzigerdurchmesser, Doug, für den Zubringer nehmen wir Fünfziger.« Er wendet sich wieder mir zu. »Sie ist scharf. Aber nimm dich in Acht; scheint ein echter Knallfrosch zu sein.«
»Ich mag Knallfrösche.«
Mein Dad lächelt. Sein Blick driftet ab. »Ich auch, Junge.«
Sein Walkie-Talkie knistert, und er holt es raus, gibt Instruktionen. Ich schaue auf das im Bau befindliche hässliche Panorama aus Beton. Wir befinden uns fünf Meter über dem Boden, am äußersten Ende einer Mauer, derzeit ein paar Blöcke lang. Parallel dazu läuft eine zweite Mauer, aus der Main Street wird ein eingefriedeter Korridor, eine Schneise durch das Herz der Stadt. Unter mir tummeln sich Arbeiter, bereiten Betonarbeiten vor und errichten Gerüste.
»Dad?«
»Ja.«
»Findest du es dumm?«
»Was?«
»Sich zu verlieben.«
Er hält inne, dann steckt er sein Funkgerät weg. »Wie meinst du das, Pear?«
»Na, also … jetzt. So wie die Dinge jetzt stehen. Alles ist so unsicher … ist es dumm, mit so was seine Zeit zu vertun in so einer Welt? Wenn alles jeden Augenblick zusammenbrechen könnte?«
Mein Dad sieht mich lange an. »Als ich deine Mom kennengelernt habe«, sagt er, »habe ich mich das auch gefragt. Damals lief nichts außer ein paar Kriegen und Krisen.« Sein Walkie-Talkie knistert wieder. Er ignoriert es. »Ich hatte neunzehn Jahre mit deiner Mom. Aber glaubst du, ich hätte es sein gelassen, wenn ich gewusst hätte, dass ich nur ein Jahr kriegen würde? Oder einen Monat?« Er starrt zur Baustelle hinaus und schüttelt bedächtig den Kopf. »Es gibt keinen Maßstab dafür, wie das Leben laufen sollte , Perry. Es gibtkeine ideale Welt, auf die man warten könnte. Die Welt ist immer das, was sie gerade ist, und es hängt von dir ab, was du daraus machst.«
Ich schaue in die dunklen Fensterlöcher zerstörter Bürogebäude. Ich stelle mir vor, wie die Skelette immer noch an ihren Schreibtischen hocken, um ein Pensum zu erfüllen, das sie nie mehr
Weitere Kostenlose Bücher