Warm Bodies
zu. Ich spanne die Muskeln an und richte mich auf einen Kampf ein. Wenn sie zu lange allein herumgezogen sind, verlieren die ungebundenen Toten manchmal die Fähigkeit, ihresgleichen von den Lebenden zu unterscheiden. Und manche sind so weit gegangen, sind von ihrer Lebensweise so geprägt, dass es ihnen ohnehin einerlei ist. Sie würden jeden, alles, überall essen, weil sie gar keine andere Umgangsform kennen. Ich stelle mir vor, wie eines dieser Wesen Julie überrascht, als sie den Mercedes anhält, um sich zu orientieren, wie er seine dreckigen Hände um ihr Gesicht legt und ihr in den schlanken Hals beißt, und während dieses Bild in mir gärt, bereite ich mich darauf vor, dieses Ding da vor mir bis zur Unkenntlichkeit zu zerfetzen. Das Töten und Fressen von Menschen nimmt sich wie eine freundliche Neckerei aus gegen diese verzehrende Blutlust.
Der baumlange Schatten kommt taumelnd näher. Ein Blitzstrahl erhellt sein Gesicht, und ich lasse die Arme sinken.
»M?«
Fast hätte ich ihn nicht erkannt. Sein Gesicht ist aufgerissen und zerhackt, aus seinem Körper sind unzählige kleine Stücke herausgebissen.
»Hey«, grunzt er. Der Regen läuft ihm über das Gesicht und sammelt sich in seinen Wunden. »Lass uns … aus dem … Regen.« Er geht an meinen undichten Bäumen vorbei und betritt die Böschung, die zum Freeway führt. Ich folge ihm zur trockenen Stelle unter der Überführung. Wir kauern uns in den Dreck, zwischen alte Bierdosen und Spritzen.
»Was … macht … er … hier… hier … draußen?«, frage ich, um Worte ringend. Ich habe weniger als einen Tag lang nichts gesagt und bin schon eingerostet.
»Rate … mal«, sagt M und deutet auf seine Wunden. »Knochen. Haben mich verjagt.«
»Tut mir leid.«
M knurrt. »Scheiß … drauf.« Er tritt gegen eine ausgeblichene Bierdose. »Aber … weißt du … was?« Eine Art Lächeln erhellt sein zerschundenes Gesicht. »Ein paar … sind … mitgekommen.«
Er deutet auf den Freeway, und ich sehe neun weitere Gestalten auf uns zukommen.
Ich sehe M an, restlos verwirrt. »Mit … gekommen? Wieso?«
Er zuckt mit den Schultern. »Zu Hause … spielt … alles … verrückt. Aus dem … Ruder.« Er stößt mich mit dem Finger an. »Du.«
»Ich?«
»Du und … sie. Was … in der Luft. Bewegung.«
Die neun Zombies halten unter der Überführung an, stehen da und glotzen uns ausdruckslos an.
»Hi«, sage ich.
Sie schwanken und stöhnen ein bisschen. Einer von ihnen nickt.
»Wo ist … Mädchen?«, fragt mich M.
»Sie heißt Julie.« Es geht mir leicht wie Kamille von der Zunge.
»Ju … lie«, wiederholt M mit einiger Mühe. »Okay. Wo ist … sie?«
»Weg. Nach Hause.«
M mustert mein Gesicht. Er legt mir die Hand auf die Schulter.
»Du … okay?«
Ich schließe die Augen und hole tief Luft. »Nein.« Ich schaue auf den Freeway hinaus, Richtung Stadt, und etwas in meinem Kopf blüht auf. Zuerst ein Gefühl, dann eine Idee, dann ein Entschluss. »Ich werde ihr folgen.«
Sechs glatte Silben. Nicht schlecht.
»Zum … Stadion?«
Ich nicke.
»Warum?«
»Um sie … zu retten.«
»Vor … was?«
»Vor … allem.«
M schaut mich eine ganze Weile bloß an. Unter Totenkann ein durchdringender Blick mehrere Minuten dauern. Ich frage mich, ob er sich überhaupt vorstellen kann, wovon ich rede, wenn doch nicht mal ich mir sicher bin, ob ich es weiß. Es ist bloß ein Bauchgefühl. Die zarte rosafarbene Zygote eines Plans.
Er schaut in den Himmel, sein Blick verschwimmt. »Hatte … Traum … letzte Nacht. Richtigen … Traum. Erinnerungen .«
Ich starre ihn an.
»Erinnert … noch jung. Sommer. Grieß … brei. Ein Mädchen.« Sein Blick kehrt zurück. »Wie … ist das?«
»Was?«
»Du …hast … gefühlt. Weißt du … was es ist?«
»Was … meinst du?«
»Meinen Traum«, sagt er mit dem erstaunten Gesichtsausdruck eines Kindes hinter einem Teleskop. »Diese Dinge … Liebe?«
Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Was geht hier vor? In was für entlegene Gegenden des Weltraums rast unser Planet? M träumt, gewinnt Erinnerungen zurück, stellt erstaunliche Fragen. Ich breche jeden Tag meinen Silbenrekord. Neun unbekannte Tote sind mit uns unter dieser Überführung, meilenweit entfernt vom Flughafen und den zischenden Kommandos der Skelette stehen sie hier und warten auf … etwas .
Eine frische Leinwand entfaltet sich vor uns. Was malen wir darauf? Welchen Farbton zuerst auf dieses leere graue Feld spritzen?
»Ich … gehe
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