Warm Bodies
Herz auf einem Tablett servieren. Ich bin darauf gefasst, dass sie es gleich in Stücke reißt.
Sie nimmt das Manuskript. Sie löst den Knoten. Sie starrt eine ganze Minute lang auf das Titelblatt, und ihr Atem zittert. Dann wischt sie sich die Augen und räuspert sich.
» Rote Zähne «, liest sie. »Von Perry Kelvin.« Sie blickt auf die Seite. »Für Julie Cabernet, das einzige Licht, das noch leuchtet.« Sie lässt das Manuskript sinken und wendet sich ab, um das Beben in ihrer Brust zu verbergen, dann nimmt sie allen Mut zusammen und blättert um zum ersten Kapitel. »Wow«, sagt sie, reibt sich die Nase und schnieft. »Es ist echt … ziemlich gut. Vorher hat er immer so trockenen und abgehobenen Quatsch geschrieben. Das ist … kitschig … aber süß. Mehr wie er wirklich war.« Sie wirft wieder einen Blick auf das Titelblatt. »Er hat vor nicht mal einem Jahr damit angefangen. Ich wusste gar nicht, dass er noch geschrieben hat.« Sie blättert bis zur letzten Seite. »Es ist nicht fertig. Hört mitten im Satz auf. ›Zahlen-und waffenmäßig unterlegen, den sicheren Tod vor Augen, kämpfte er weiter, weil …‹«
Sie streicht mit dem Daumen über das Papier, prüft die Textur. Sie hält es sich vor das Gesicht und saugt seinen Geruch ein. Dann schließt sie die Augen, schließt das Manuskript und macht wieder einen Knoten in den Zwirn. Sie sieht zu mir auf. Ich bin fast dreißig Zentimeter größer und wahrscheinlich dreißig Kilo schwerer als sie, aber ich komme mir winzig vor und wie ein Fliegengewicht. Als könnte sie mich mit einem Flüstern umhauen und zerquetschen.
Doch sie sagt nichts. Sie legt das Manuskript zurück in die Kommode und schließt vorsichtig die Schublade. Sie richtet sich auf, trocknet sich mit dem Ärmel das Gesicht und umarmt mich. Ihr Ohr liegt an meiner Brust.
»Klopf-klopf«, murmelt sie. »Klopf-klopf. Klopf-klopf.«
Meine Arme hängen schlaff herab. »Es tut mir leid«, sage ich.
Mit geschlossenen Augen, die Stimme von meinem Hemd gedämpft, sagt sie: »Ich verzeihe dir.«
Ich hebe die Hand und berühre ihr strohgoldenes Haar. »Danke.« Diese drei Wörter, so einfach, so ursprünglich, haben nie vollendeter geklungen. Waren ihrer fundamentalen Bedeutung nie treuer. Ihre Wange reibt an meiner Brust, ihr Jochbeinmuskel verzieht ihre Lippen zu einem schwachen Lächeln.
Ohne ein weiteres Wort schließen wir die Tür von Perry Kelvins Zimmer und verlassen sein Zuhause. Auf dem Weg treppab passieren wir die brütenden Teenager, gehen an den sich in unruhigem Schlaf wälzenden Kindern vorbei, vorbei an tief träumenden Babys und hinaus auf die Straße. Tief in meiner Brust, dem Herzen näher als dem Bauch, spüre ich einen Stoß. Und in meinem Kopf höre ich jemanden mit sanfter Stimme sprechen.
» Danke «, sagt Perry Kelvin.
*
Am liebsten ließe ich es hier enden. Wie schön es wäre, das eigene Leben schneiden zu können. Mitten im Satz innezuhalten und den Rest in die Schublade zu legen, meine Amnesie zur Perfektion zu bringen und alles zu vergessen, was passiert ist, passiert und gleich passieren wird. Die Augen zu schließen und glücklich schlafen zu gehen.
Aber nein, R. Kein Schlaf der Gerechten. Nicht für dich. Hast du vergessen? Du hast Blut an deinen Händen. An deinen Lippen. An deinen Zähnen. Lächle für die Kameras.
*
Julie, sage ich und versuche die Kraft aufzubringen, meine letzte Sünde zu beichten. »Ich muss … dir etwas …«
BANG
Die Stadionflutlichter flackern wie Sonnen, und aus Mitternacht wird heller Tag. Ich kann jede Pore in Julies Gesicht sehen.
»Was zur Hölle?«, keucht sie und wirbelt herum. Ein durchdringender Alarm erschüttert die Stille der Nacht, und dann sehen wir es: Die Großleinwand glüht wie eine von den Dachträgern ragende Himmelsscheibe. Auf dem Schirm ist die blockhafte Animation eines Wachmanns zu sehen, der vor den ausgestreckten Armen vielleicht eines Zombies flüchtet. Der Bildschirm wechselt hin und her, zwischen diesem Bild und einem Wort, das vielleicht
DURCHBRUCH
heißen könnte.
»R …«, sagt Julie entsetzt, »hast du jemanden gefressen? «
Verzweifelt sehe ich sie an. »Keine W… keine Wahl«, stammele ich. In meiner Panik bricht meine Sprache ein.
Sie presst die Lippen aufeinander, ihr Blick durchbohrt mich, dann schüttelt sie einmal den Kopf, als wolle sie einen Gedanken zugunsten eines anderen vertreiben. »Okay. Dann müssen wir rein. Verdammte Scheiße, R.«
Wir laufen ins
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