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Warme Welten und Andere

Warme Welten und Andere

Titel: Warme Welten und Andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
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überstehen könnten, was kommen würde. Wieder stöhnte er leise. Die, die er liebte, Nachkommen seiner Rasse in dieser fremden Welt. Groß, furchtlos, heil, wie er es nie gewesen war.
    »Der Mensch ist ein Tier, dessen Träume wahr werden und ihn töten«, erklärte er dem noion. »Nimm das zu deinen Definitionen dazu. Du hättest mich warnen können. Du bist schon lange hier. Du wußtest es. Du wußtest, daß ich keine Ahnung hatte.«
    Das noion blieb in seine Stille gehüllt. Es war ein sehr fremdes Wesen. Wie konnte es begreifen, was dieser Zufluchtsort ihnen bedeutet hatte, damals vor dreißig Jahren? Diese plötzlich auftauchende, große, helle Lichtung auf dem letzten Zipfelchen Land – während sie in ihrem angeschlagenen Schiff auf Tod in Fels und Dschungel zurasten. In der letzten Minute ihres Lebens hatte sich diese Stelle unter ihnen aufgetan und sie empfangen. Die Überlebenden hatte er hinausgeführt, wo sie ihren Dank in den aufgewühlten Sand bluteten.
    Ein Wirbelsturm, so erklärten sie es sich, mußte diesen Flecken bloßgelegt haben, diese verwüstete Quadratmeile am Meer. Nicht allzu lange konnte das her sein; grüne Spitzen stießen durch den Boden, von frischem Wasser aus unterirdischer Quelle genährt. Und der Sandboden, voll von organischem Mulm, war fruchtbar, ihr Weizen und Gemüse gediehen, und in der warmen Lagune wimmelte es von Fischen. Ein Eden war es gewesen, in jenen ersten zwei Jahren. Bis das Wasser…
    »Seid ihr nicht… beweglich?« Das noion hatte plötzlich in seinen Kopf eingesprochen, seinen Gedanken unterbrochen. Wie üblich hatte es ›gesprochen‹, als er es nicht angeschaut hatte. Und ebenfalls wie üblich war seine Rede eine Frage gewesen.
    Aus langer Gewohnheit des Hinhörens begriff er, was es meinte. Er seufzte.
    »Du verstehst nicht«, sagte er. »Tiere wie ich sind, für uns selbst, nichts; ohne die angesammelte Arbeit anderer Menschen sind wir nichts. Unsere Körper können wohl davonlaufen, ja. Aber wenn unsere Kolonie hier zerstört wird,dann werden die Überlebenden in ein primitives tierisches Leben zurückgeworfen, in dem sie all ihre Energie für Nahrungssuche und Vermehrung ausgeben. Das, was uns menschlich macht, wird verloren sein. Ich kann nur deshalb als rationales Wesen, das zum Beispiel weiß, was die Sterne sind, mit dir reden, weil das Werk toter Menschen mir ermöglicht, ein Denker zu sein.«
    In Wirklichkeit war er kein Denker, kommentierte seine innerste Stimme traurig; er war jetzt ein Mensch, der Entwässerungskanäle baute.
    Aus dem noion kam nichts. Wie konnte es, ein Wesen, das einsam lebte, wie konnte es auch verstehen? Für immer an seinem Ast hängend, war es doch von Myshas körperlicher Beweglichkeit mehr als von irgendeinem Inhalt seines Geistes beeindruckt.
    »Na gut«, sagte er. »Versuch es mal damit: der Mensch ist ein Geschöpf, das Zeit aufspeichert, sehr langsam und unter Schmerzen. Jedes Individuum speichert ein kleines bißchen Zeit und vermacht sie seinen Nachkommen, wenn es stirbt. Unsere Kolonie hier ist ein Speicher vergangener Zeit.« Er klopfte auf die Kiste mit Tonbändern, auf der er saß.
    »Wenn der Generator da unten zerstört wird, kann niemand mehr die Zeit, die in diesen Bändern aufbewahrt ist, nutzen. Wenn die Laboratorien und Werkstätten verschwinden, die Öfen, die Webstühle, die Bewässerungskanäle und der Getreidesamen, dann werden die Überlebenden gezwungen sein, Früchte und Wurzeln zu sammeln, um von einem Tag zum anderen leben zu können. Alles, was darüber hinausgeht, wird verloren sein. Nackte Wilde, die sich im Dschungel aneinanderdrängen«, sagte er bitter. »Ein Rückfall um Tausende von Generationen. Du mußt uns helfen.«
    Schweigen. Über dem Wasser wurde das unheimliche Pfeifen plötzlich lauter, dann wieder schwächer. Wurde es wirklich schwächer?
    »Ihr… reift nicht?« Die ›Worte‹ des noion forschten heimlich in seinem Geist, klopften an eine versiegelte Tür.
    »Nein!« Er fuhr herum, starrte es böse an. »Frag mich das nie wieder! Nie!« Er keuchte, verriegelte sein Bewußtsein gegen die Erinnerung. Gegen das, was das noion ihm einmal gezeigt hatte, das Furchtbare. Nein. Nein!
    »Ich will von dir nur, daß du sie beschützt.« Er sammelte all seine Intensität, schleuderte sie auf das noion. »Noch ein einziges Mal!«
    »Mysha!«
    Er drehte sich um. Eine ledrige kleine Frau mühte sich über den steinigen Hang zu ihm herauf, und ihr folgte eine nackte Göttin. Seine Frau und

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