Warme Welten und Andere
immer noch starben welche, und er hatte sich losgerissen und war hier heraufgekommen…
»Du warst in einem höchst abnormalen Geisteszustand«, protestierte Bethel.
»Ja. Ich war in einem höchst abnormalen Zustand.« Auf den Knie lag er hier, fluchte, wütete, seine Not rang mit dem noion.
Was bringt uns um? Was kann ich tun? Sag es mir! Die gebrochene Gestalt seines Nicht-Wissens riß und zerrte am noion .
»Es war die Größe meiner Not. Die Dringlichkeit. Es – irgendwie hat es mir geholfen, mich durch es zu vervollständigen. Ich kann es nicht beschreiben. Aber die Tatsache bleibt bestehen, daß ich erfuhr, was zu tun war.«
Adrenalin war die Antwort, und fiebererzeugende Mittel, und die Opfer ihr eigenes Kohlendioxid atmen lassen, bis sie husteten und würgten. Er war vom Hügel heruntergekommen und hatte, gegen Bethels verzweifelten Widerstand, den Kopf seines kleinen Sohns in einen Plastikbeutel gestoßen.
»Es war das Enzym in der Seife«, sagte Melie ruhig. Mit geneigtem Kopf rezitierte sie: »Die-Seifenspuren-potenzierendenBrand-im-Getreide-und-erzeugen-ein-stabiles-cholinartiges-Molekül-welches-die-Hirn-Blut-Barrierepassiert-und-von-den-Homöostaten-des-Mittelhirnsangenommen-wird.« Sie grinste. »Eigentlich verstehe ich kein Wort davon. Aber ich denke mir halt, es wird so sein, wie wenn man an unserem Boiler den Regler blockiert. Sie wußten nicht mehr, wann sie atmen mußten.«
»Richtig.« Der Griff, mit dem er Bethel hielt, wurde sanfter, er legte seinen anderen Arm um ihren dünnen, harten Körper. »Und wie hätte so etwas je auf meinem eigenen Mist wachsen sollen?« Das Mädchen blickte ihn an; verzweifelt erkannte er, daß sie sich Grenzen seines Wissens einfach nicht vorstellen konnte. Ihr Vater Mysha, der große Mann der Kolonie.
»Du mußt mir glauben, Melie. Ich wußte es nicht. Ich konnte es gar nicht wissen. Das noion hat mir das Wissen gegeben. Deine Mutter will es nicht zugeben, und dafür hat sie ihre eigenen Gründe. Aber so war es, und du solltest die Wahrheit wissen.«
Das Mädchen ließ ihren Blick auf dem noion ruhen.
»Spricht es mit dir, Vater?«
Bethel stöhnte protestierend.
»Ja. In gewisser Weise. Das hat lange gedauert. Man muß es wollen, man muß sehr offen sein. Deine Mutter behauptet, ich würde mit mir selbst reden.«
Bethels Lippen zitterten. Einmal hatte er sie dazu gebracht, hierher zu kommen und es zu probieren; er hatte sie allein gelassen. Danach hatte das noion ihn gefragt: »Hat jemand gesprochen?«
»Es ist eine Projektion«, sagte Bethel mit steinernem Gesicht. »Ein Teil deines Geistes. Du willst deine eigenen Einsichten nicht akzeptieren.«
Die ganze Sache wirkte plötzlich unglaublich trivial.
»Vielleicht, vielleicht«, seufzte er. ›»Bedenket wohl, ihr Herren, daß ihr euch irren könnt…‹ Aber das eine soll euch klar sein: ich werde versuchen, noch einmal seine Hilfe zu erheischen, wenn die Bestien da draußen angreifen. Ich glaube, es hat die Kraft, gerade noch ein Mal zu helfen; denn es stirbt schon.«
»Der dritte Wunsch«, sagte das Mädchen leichthin. »Drei Wünsche, das ist wie in den Märchen.«
»Siehst du?« brach es aus Bethel hervor. »Siehst du? Es geht wieder los. Magie! Oh, Mysha, nach allem, was wir durchgemacht haben…« Ihre Stimme war bitter.
»Deine Mutter hat Angst, daß ihr eine Religion daraus machen werdet. Einen Fetisch in einer geschmückten Kiste.« Seine Lippen zuckten. »Aber du könntest nicht an einen Gott in einer Kiste glauben, oder, Melie?«
»Mach keine Witze, Mysha, mach keine Witze!«
Er hielt sie in seiner Umarmung, fühlte nichts. »Schluß jetzt. Zurück an die Arbeit. Aber versucht gar nicht erst, mich von hier wegzubewegen; sagt Piet, er soll die Zeit für andere Arbeit nutzen. Ihr habt das Labor zusammengepackt, oder? Wenn sie durchbrechen, wird keine Zeit mehr sein.«
Sie nickte stumm. Er drückte sie fester an sich, versuchte, etwas zu empfinden.
»Sterben macht streitsüchtig.« Ein großer Abschied war das nicht gerade.
Er sah ihnen nach, wie sie den Hügel hinabstiegen; die Gesäßbacken des Mädchens – zwei Pfirsichen gleich – rieben sich aneinander. Das Gespenst der Lust regte sich in ihm. Wie ernst sie gewesen waren, damals, als sie die ausgeklügelten Bestimmungen über Inzest festgesetzt hatten… Auch damit würde es vorbei sein, wenn die Meermauer nicht standhielt.
Nun waren Gestalten zu sehen, die auf dem Wasserturm herumkrabbelten und die alte, allmählich
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