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Warme Welten und Andere

Warme Welten und Andere

Titel: Warme Welten und Andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
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schnell kapiert.
    Glaub mir, Döskopp. Wenn ich Wachstum sage, dann meine ich Wachstum. Kapitalverwertung. Du brauchst nicht zu schwitzen, Oller. Das hat Zukunft, ganz große Zukunft.

Am letzten Nachmittag
(On The Last Afternoon)
     
     
    »Du mußt uns helfen«, sagte Mysha schmerzgequält. »Noch ein letztes Mal. Das kannst du doch, nicht wahr?«
    Das noion sagte nichts. Es hing an seinem Zweig wie eh und je, seitdem er es hier in dem Wäldchen auf dem Hügel gefunden hatte: ein modriges, schwarzes, unsäglich schäbiges Objekt oder Wesen, in dem nicht mehr Leben zu stecken schien als in einem verlassenen Termitenhügel. Niemand außer ihm selbst glaubte, daß es lebendig war. In den dreißig Jahren seit Bestehen der Kolonie hatte es sich nicht verändert, aber er wußte seit einiger Zeit, daß es allmählich starb.
    Er auch. Aber darum ging es jetzt nicht.
    Er erhob sich von der Kiste mit Tonbändern, auf der er gesessen hatte, blickte stirnrunzelnd auf das sanfte, grüne Meer hinaus und rieb sich seinen zerschmetterten Schenkel. Der bewaldete Hügel des noion erhob sich auf einer Landzunge hinter dem langen Strand. Zur Linken lagen, dschungelgesäumt, die Hauptfelder der Kolonie. Unter sich konnte er rechts die Strohdächer sehen, das heilige Nest selbst. Kornkammer, Brennöfen, Zisterne, Gerberei und Werkstätten, die Fischerhütten. Die Schlafbaracken und die vier individuellen Hütten, von denen eine ihm und Beth gehörte. Und in der Mitte das doppelte Herz: die Säuglingsstation und die Bibliothek samt Labor. Ihre Zukunft und ihre Vergangenheit.
    Dorthin blickte der Mann Mysha jetzt nicht; denn im Grunde hatte er seine Blicke nie davon abgewandt. Jeder Ziegelstein und Graben, jeder Balken und Draht war für sein inneres Auge in einem unauslöschlichen Plan verzeichnet, jede schlaue Konstruktion und jede wacklige Improvisation, jeder Niederschlag von Planung und Zufall, bis hin zum letzten, unersetzlichen Teil des Schiffes, dessen Skelett am Rand des Dschungels hinter ihm dahinrostete.
    Statt dessen starrte er hinaus, über die Menschen hinweg, die auf dem Damm in der Bucht arbeiteten und herumspritzten, hinweg über die friedlichen Sandbänke und seichten Gewässer, die sich bis zum milchig-ruhigen Horizont erstreckten. Er lauschte.
    Ganz schwach konnte er es hören: ein langes, ursprungloses Pfeifen.
    Sie waren da draußen. Draußen hinter dem Horizont, wo das Weltmeer sich auf ewig an den letzten Felsenriffs des Kontinents brach, sammelten sich die Zerstörer.
    »Du kannst es noch einmal tun«, sagte er zum noion. »Du mußt.«
    Das noion war still, wie üblich.
    Mysha zwang sich, nicht mehr hinauszuhorchen, und wandte seine Blicke zu der Meermauer, die unter ihm gebaut wurde. Ein Damm lief von der Landzunge aus schräg hinaus durch Wasser und über Sandbänke, um sich draußen mit einer Linie von Einpfählungen zu treffen, die von der fernen Seite des Strandes herüberkam. Damm und Pfahlwerk formten eine breite Pfeilspitze, die zum Meer deutete. Schutz für die Siedlung.
    In der Lücke an der Spitze, wo die Mauer noch nicht geschlossen war, schufteten und schrien braune Körper zwischen Flößen mit Steinladungen. Zwei Einbaumboote, die hölzerne Dammkrippen hinter sich herzogen, krochen hinaus. Eine andere Gruppe von Arbeitern planschte zu dem Pfahlwall hinaus und hatte zwei riesige, zusammengespleißte Balken im Schlepptau.
    »Sie werden nicht rechtzeitig fertig«, murmelte Mysha. »Es wird nicht halten.« Seine Augen tasteten die Verteidigungsanlage ab, prüften zum tausendsten Mal die Plazierung der Pfähle, die schwachen Stellen. Das Ganze hätte in tieferes Wasser gehört. Aber dafür war zu wenig Zeit gewesen, die Arbeit hatte viel zu spät begonnen. Sie hatten ihm einfach nicht geglaubt, bis zu dem Tag, an dem das greuliche Zeugs zum ersten Mal an Land gespült wurde.
    »Sie glauben es immer noch nicht wirklich«, murmelte Mysha. »Sie haben keine Angst.«
    Er machte eine Grimasse, in der sich Stolz und Qual mischten, und blickte nun zum nahen Strand, wo Jungen und Mädchen Stämme zusammenbanden und die Krippen herrichteten. Einige Mädchen sangen. Ein Junge rempelte einen anderen an, der sein Ende des Stammes fallen ließ, und die beiden balgten sich auf dem Boden. Gejohle, Gelächter. »Macht weiter, macht weiter!« stöhnte er, schlug sich auf seine zerschundenen Schenkel, sah zu, wie der alte Tomas sie wieder zur Arbeit trieb. Tomas würde ihn überleben, wenn sie davonkämen, wenn sie

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