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Warme Welten und Andere

Warme Welten und Andere

Titel: Warme Welten und Andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
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abgestoßene Haut. Nichts, was sie je zuvor gesehen hätten.
    Daraufhin hatte Piet Gregor überreden können, einen Kundschaftertrupp zum äußeren Riff zu senden, und dann, nachdem sie gesehen hatten, was zu sehen war, begannen sie ruhig und in all ihrer Anmut den Bau der Mauer. Mysha stellte fest, daß seine Nörgeleien sie nicht anzutreiben vermochten, und so ging er wieder zurück auf den Hügel. Ein Band mit Gedichten lief gerade, als es geschah. Mit einer Hälfte seiner Aufmerksamkeit hatte er zugehört, mit der anderen den Dachstuhl des neuen Schuppens gemustert, der die Fasern und Mineralien aufnehmen sollte, die die Expeditionsmannschaft mitgebracht hatte. Von einem Brunnen im nahe gelegenen Feld kam ein klapperndes Geräusch. Das weckte eine Erinnerung: wie er die Ecksteine des Zisternenbogens hochgehoben hatte – und mit gerunzelter Stirn erinnerte er sich zum tausendsten Mal, daß sie nicht ganz genau gepaßt hatten. Im nächsten Frühjahr würde er…
    Im nächsten Frühjahr würde er tot sein und all diese Sachen den jungen braunen Göttern überlassen haben. Liebevoll dachte er daran, wie sie gelegentlich neugierig das Schiff betrachteten und dann hinauf in den Himmel schauten. Nie würden sie wissen, was er wußte, aber ihr Denken war das Denken zivilisierter Menschen. Das war sein Werk. Nicht Ozymandias war er: Vater. Dort war seine Unsterblichkeit. Ich sterbe, aber sterbe nicht.
    »Du reifst nicht?« fragte das noion.
    Aus dem Tonbandgerät erklang ein Gedicht von Jeffers: »In nichts sei so maßvoll wie in der Liebe zum Menschen…«
    »Du kannst das nicht verstehen«, erklärte er dem noion. »Du schaffst nichts, hinterläßt nichts. Nichts, das dich selbst überschreitet.«
    »… Dies ist die Falle, in die die Edelsten geh’n, in der sich, so sagt man, auch Gott fing, als er auf Erden wandelte.«
    Gereizt schaltete er das Gerät aus.
    »Wie willst du das auch verstehen?« fragte er. »Eine Spore, ein Gott-weiß-was ohne Artgenossen, ohne Nachkommen. Der Mensch ist ein Säugetier, wir bauen uns Nester, wir kümmern uns um unsere Jungen.« Ein gewaltiger Bilderbogen verschiedener Nester entfaltete sich vor seinem inneren Auge – Nester aus Speichel, seidigen Fäden oder weichen Brustfedern, Nester in der Erde, in Felshöhlen, hineingewebt in die Luft, Nester in Eisbergen; Eier, verkapselt in der Wüste, im tiefen Meeresboden, mitgetragen in Hauttaschen, in Mäulern, auf Rücken, Eier, die über eiskalte Wochen hinweg auf Schwimmfüßen gehalten, in den Körpern von Opfern versteckt, auf windzerrissenen Klippen bewacht werden.
    »Selbst diese Ungeheuer, die hierherkommen«, sagte er. »Das tun sie um ihrer Eier, ihrer Jungen willen, obwohl sie dabei sterben. Ja, ich sterbe. Aber meine Gattung lebt!«
    »Warum endest du?« fragte das noion.
    Da war es, daß die Angst hochkam. Wütend sagte er: »Weil ich’s nicht ändern kann. Kannst du das etwa?«
    Schweigen.
    Sein »Kannst du das etwa?« hing in der Luft, nahm eine unbeabsichtigte Bedeutung an… Konnte es, dieses Ding, das er noion nannte, konnte es etwas… dagegen tun?
    Eine ungreifbare Spannung, sachter als der Sog eines Sterns, rührte an seinen Geist; der kleine, kalte Keim der Furcht wuchs.
    »Kannst du…« fing er an; mich heilen, hatte er sagen wollen. Kannst du meinen Körper wieder richten? Aber sobald er sich des Gedankens bewußt wurde, wußte er, daß das irrelevant war. Der Sog war woanders, in einer Richtung, in die er nicht blicken wollte. Er krümmte sich entsetzt. Das noion wollte sagen, es wollte ihm zu verstehen geben…
    »Du… reifst?«
    Das Wolkenweiche öffnete sich in seinem Geist, er spürte einen Riß, einen Durchbruch, durch den verängstigte Fühler seiner selbst nach außen flossen, nackt. Er fühlte sich selbst dahinrutschen, in eine dunkle Helligkeit hineintreiben, in einen ungeheuren Nicht-Raum, in dem – Stimmen? – erklangen, von jenseits aller Galaxien, die Schatten von Stimmen, uneinholbare Schlieren wehender Gedanken, ein zartes Netzwerk von – etwas – in zeitverlorenen Weiten, im – Leben? Des Todes Leben? Immaterielle Energien in den Winden des Nicht-Seins, und sie ziehen, ziehen leise an ihm… ziehen…
    Nein! Nein!
    Entsetzt preßte er sich zusammen, kämpfte, brach los, keuchte ins Leben zurück: auf Händen und Knien fand er sich unter dem Ast des noion wieder. Licht, Luft. Er verschlang sie, er drückte die Erde an sich – und plötzlich griff er mit seinem Geist wieder nach der

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