Warnschuss: Thriller (German Edition)
Schreibtisch.
Duncan fragte: »Stand er etwa dort?«
Elise reagierte mit einem leisen Nicken.
»Was hat er dort getan, Mrs Laird?«
»Nichts. Er stand einfach da und sah mich an. Er starrte mich an wie ein Kaninchen die Schlange.«
»Stand er über den Schreibtisch gebeugt, so als hätte er versucht, die Schublade aufzubrechen?«
»Ich brauchte ein paar Sekunden, um mich an die plötzliche Helligkeit zu gewöhnen. Vielleicht hatte er sich über die Schreibtischschublade gebeugt, ich weiß es nicht mehr. Mir steht nur noch vor Augen, wie er reglos hinter dem Schreibtisch stand und mich anstarrte.«
»Hm.« Duncan schaute über den Schreibtisch auf DeeDee, als würde er sich Gary Ray Trotter vorstellen. »Was genau hat er gesagt?« Er drehte sich wieder zu Elise um.
Sie zuckte nicht zusammen und zögerte keine Sekunde. »Er sagte gar nichts, Detective Hatcher. Das habe ich Ihnen schon gestern Abend erzählt.«
Duncan nickte langsam. »Richtig. Das haben Sie. Aber Sie haben ihn angesprochen, das stimmt doch? Sie haben ihm gesagt, er soll verschwinden.«
»Genau.«
»Hat er sich zum Fenster hinbewegt?«
»Nein. Er bewegte sich überhaupt nicht, er hob nur den Arm. Ganz plötzlich. So als hätte jemand an einem Faden an seinem Ellbogen geruckt.«
»So etwa?« DeeDee ahmte die Bewegung nach.
»So ungefähr, ja. Bevor ich richtig begriffen hatte, dass er eine Pistole in der Hand hielt, hatte er sie schon abgefeuert.« Sie legte eine Hand an ihre Kehle, als bekäme sie plötzlich keine Luft mehr.
Der Richter trat an ihre Seite und legte den Arm um ihre Taille.
Duncan fragte: »Mrs Laird, ist es möglich, dass er einen Warnschuss abgab, mit dem er Sie nur einschüchtern wollte?«
»Ich nehme an, das ist möglich.«
»Hatten Sie das Gefühl, in Lebensgefahr zu schweben?«
»Ich nahm es an. Alles geschah so schnell.«
»Aber nicht so schnell, dass Ihnen keine Zeit geblieben wäre, ›anzunehmen‹, dass Sie in Lebensgefahr schwebten.«
»Das ist doch eine naheliegende Annahme, meinen Sie nicht, Detective?« Der Richter klang verärgert. »Wenn ein Mann, der in Ihr Haus eingebrochen ist, eine Pistole abfeuert, würde doch jeder vernünftig denkende Mensch annehmen, dass sein Leben in Gefahr ist, und reagieren, selbst wenn der Einbrecher ein lausiger Schütze ist.«
»Es erscheint logisch, das stimmt«, sagte DeeDee, »aber Dr. Brooks hat eine eigene Theorie, die wir berücksichtigen sollten. Er meinte, dass Trotter eventuell nach hinten kippte, als er den Schuss abgab, und sich sein Finger im Reflex um den Abzug zusammenzog. Das würde erklären, warum er so hoch in die Luft schoss.«
Duncan sah Elise erbarmungslos in die Augen. »Aber das würde bedeuten, dass Sie zuerst geschossen hätten.«
»Was sie aber nicht hat«, ließ sich der Richter vernehmen. »Das hat sie Ihnen schon ein Dutzend Mal erklärt. Warum hacken Sie immer noch darauf herum?«
Duncan löste widerstrebend seinen Blick von Elise Lairds Gesicht und sah den Richter an. »Weil ich genau nachvollziehen muss, was passiert ist. Es macht mir wirklich kein Vergnügen, Mrs Laird diese Fragen zu stellen. Aber ich war heute Morgen bei der Autopsie von Gary Ray Trotters Leichnam. Ich habe das Gefühl, dass ich moralisch verpflichtet bin herauszufinden, wie und warum er so endete, ob er nun kriminell war oder nicht. Sie bekleiden ein öffentliches Amt, Richter. Sie sind es der Öffentlichkeit schuldig, Ihre Pflicht zu erfüllen. Ich genauso. Manchmal ist das nicht besonders angenehm. Eigentlich fast nie.«
Er wandte sich wieder an Elise. »Sind Sie hundertprozentig sicher, dass Trotter zuerst gefeuert hat?«
»Hundertprozentig.«
»So. Das genügt.« Auf die Bemerkung des Richters hin senkte sich ein angespanntes Schweigen über den Raum. Schließlich sagte er: »Ich bewundere Ihr Pflichtbewusstsein, Detective Hatcher. Ich weiß zu schätzen, dass Sie die Wahrheit ergründen wollen. Elise und ich haben alles in unserer Macht Stehende getan, um Ihnen bei der Erfüllung dieser unangenehmen Pflicht zu helfen.
Ist Ihnen gar nicht der Gedanke gekommen, dass wir genauso gern eine schlüssige Erklärung für das hätten, was gestern Nacht hier vorgefallen ist? Vielleicht wünschen wir uns das noch sehnlicher als Sie und Detective Bowen. Elise hat alles gesagt, was sie dazu sagen konnte. Sind Sie nun überzeugt, dass es sich um einen tragisch gescheiterten Einbruchversuch handelte?«
Duncan ließ die Frage mindestens fünfzehn Sekunden
lang
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