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Warte auf das letzte Jahr

Warte auf das letzte Jahr

Titel: Warte auf das letzte Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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    »Gefällt es Ihnen, Mr. Molinari zuzusehen?« fragte das Taxi.
    »Ja«, sagte Kathy. »Es gefällt mir.«
    »Meinen Sie nicht auch«, fuhr das Taxi fort, »daß er die Wahl zum UNO-Generalsekretär gewinnen wird?«
    »Du gehirnlose Konservenbüchse«, fauchte Kathy. »Er ist schon jahrelang Generalsekretär.« Die Wahl, dachte sie, ja, der Maulwurf hat genauso während des Wahlkampfes ausgesehen, der schon Jahrzehnte zurückliegt … vielleicht hatte das die Elektronik des Taxis durcheinandergebracht. »Tut mir leid«, erklärte sie. »Aber wo, zum Teufel, hast du die ganze Zeit gesteckt? Hat man dich zweiundzwanzig Jahre lang in einer Reparaturwerkstatt abgestellt?«
    »Nein, Miss. Ich bin ununterbrochen im Einsatz gewesen. Allerdings scheint Ihr Verstand verwirrt zu sein, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf. Benötigen Sie ärztliche Hilfe? Unter uns befindet sich im Augenblick zwar Wildnis, aber wir werden bald St. George in Utah passieren.«
    Sie war schrecklich durcheinander. »Natürlich brauche ich keine ärztliche Hilfe; ich bin gesund.« Aber das Taxi hatte recht. Die Droge hatte inzwischen ihre volle Wirkung entfaltet. Sie fühlte sich elend, und sie schloß die Augen, preßte ihre Finger gegen die Stirn, wie um zu verhindern, daß ihre psychologische Realität, ihr privates, subjektives Selbst sich endgültig auflöste. Mir ist, als ob ich mich selbst verliere; diesmal ist die Wirkung viel stärker, diesmal ist es anders, und vielleicht liegt es daran, daß ich allein bin. Aber ich muß durchhalten. Wenn ich kann.
    »Miss«, sagte das Taxi plötzlich, »würden Sie bitte wiederholen, wohin ich fliegen soll? Ich habe es vergessen.« Es klickte im Innern der elektronischen Steuerung, als ob das Taxi Kummer empfinden würde. »Bitte, helfen Sie mir.«
    »Ich weiß es nicht«, erklärte sie. »Es ist deine Aufgabe; versuch dich zu erinnern. Und wenn es nicht geht, dann fliege einfach im Kreis.« Was ging es sie denn an, wohin das Taxi wollte? Was hatte sie eigentlich damit zu tun?
    »Es begann mit einem C«, stellte das Taxi hoffnungsvoll fest.
    »Chicago.«
    »Nein, ich glaube nicht. Nun, falls Sie sich dessen aber sicher sind …« Das Triebwerk dröhnte auf, als es den Kurs wechselte.
    Wir beide stecken bis zum Hals drin, erkannte Kathy. In dieser von der Droge erzeugten Sequenz. Sie haben einen Fehler gemacht, Mr. Corning, indem sie mir die Droge gegeben haben, ohne mich zu überwachen. Corning? Wer war Corning?
    »Ich weiß jetzt, was unser Ziel ist«, sagte sie laut. »Corning.«
    »Es gibt keine Stadt diesen Namens«, erwiderte das Taxi.
    »Unmöglich.« Panik überfiel sie. »Überprüfe noch einmal deine Datei.«
    »Wirklich, es existiert keine Stadt namens Corning.«
    »Dann sind wir verloren«, murmelte Kathy resigniert. »Gott, wie ist das furchtbar. Ich muß heute nacht in Corning sein, und diese Stadt gibt es gar nicht; was kann ich nur tun? Mach einen Vorschlag. Ich bin auf dich angewiesen; merkst du denn nicht, wie ich leide? Ich glaube, ich verliere noch den Verstand.«
    »Ich werde Hilfe anfordern«, erklärte das Taxi. »Ich werde mich bei der Bundesverkehrsbehörde in New York erkundigen. Es dauert nur einen Augenblick.« Eine Weile herrschte Stille. »Miss, es gibt keine Bundesverkehrsbehörde in New York, und wenn doch, dann kann ich sie nicht erreichen.«
    »Empfängst du sonst irgendwelche Funksprüche aus New York?«
    »Nur die Sendungen von einem Haufen Radiostationen. Aber keine TV-Übertragungen und auch keine Impulse auf dem FM-Band oder im UKW-Bereich; unser Wellenbereich ist tot. Gegenwärtig empfange ich eine Radiostation, die eine Sendung mit dem Titel ›Mary Marlin‹ ausstrahlt. Als Vorspann wurde ein Klavierstück von Debussy gespielt.«
    Sie kannte sich in der Geschichte dieses Landes aus; schließlich war sie Antiquitätenexpertin, und dies gehörte zu ihrer Arbeit. »Schalte deine Lautsprecher ein, damit ich es ebenfalls hören kann«, befahl sie.
    Einen Moment später drang die Stimme einer Frau an ihr Ohr, die einer anderen Frau eine unglückliche Leidensgeschichte erzählte, kitschig und langweilig, und dennoch wurde Kathy davon in heftige Aufregung versetzt.
    Sie haben sich getäuscht, dachte sie, während ihre Gedanken wie ein Bienenschwarm summten. Es wird mich nicht zerstören. Sie haben übersehen, daß ich mich in dieser Epoche auskenne – sie ist mir so vertraut wie die Gegenwart. Dieses Erlebnis wirkt weder bedrohlich noch ängstigend auf mich;

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