Warte, Bald Ruhest Auch Du: Mitchell& Markbys Dritter Fall
Rätsel.
Sie konnte es dennoch sagen und hoffen, daß es sich überzeugend anhörte, aber dieser Mensch mit den kalten Augen würde ihren rührenden Täuschungsversuch sofort durchschauen. Vielleicht erzielte sie damit sogar die gegenteilige Wirkung. Die Aussicht, daß die Polizei bald hier auftauchen könnte, würde sie möglicherweise dazu verleiten, die Tat noch schneller auszuführen. Sie hoffte nur, sie würden es schmerzlos tun; mit einem einzigen Schlag in den Nacken, wie sie sich Jerry Herseys entledigt hatten.
»Und ich?« fragte Jessica, Meredith’ düstere Gedanken unterbrechend.
»Wollt ihr euch auch um mich ›kümmern‹?« Sie hob die Stimme und reckte das Kinn, starrte trotzig in das steinerne Gesicht.
»Du gehörst zur Familie«, sagte er.
»Du wirst schweigen.«
»Nein.« Sie schüttelte das lange blonde Haar.
»Nein, das werde ich nicht, diesmal nicht.« Im Vergleich zu der seinen klang ihre Stimme jung und unschuldig, hatte jetzt aber auch einen stählernen Unterton. Auch sie war eine Winthrop. Wie dieser Mann, dachte Meredith, die inzwischen begriffen hatte, wer er sein mußte; und auch ihm war klar, daß sie es wußte. Ein weiterer Nagel zu ihrem Sarg. Wie konnte er ihnen das nur antun? dachte sie unwillkürlich. Wie konnte er sie nur in diese schmutzige Sache hineinziehen? Weil er unfähig ist zu lieben, gab sie sich sofort selbst die Antwort. Er sieht nur, daß sie ihm eine Zeitlang nützlich sind … Ob ihnen das klar war? Konnten sie ihn als das sehen, was er war? Und wußten sie, was sie getan hatten? Jessica wußte es offensichtlich, und deshalb hatten sie sie von ihm fernhalten wollen. Durch ihre Augen waren sie gezwungen, ihn und sich selbst klar zu sehen. Seine Aufmerksamkeit galt für kurze Zeit nicht mehr Meredith, sondern Jessica. Er beugte sich vor, legte die gebräunten Hände auf das rotkarierte Tischtuch. Diese Hände, dachte Meredith, haben seit Jahren keine schwere körperliche Arbeit mehr geleistet. Sie waren weich und manikürt, aber moralisch starrten sie vor Dreck, und es war ihm egal, wenn er sie noch mehr beschmutzte.
»Hör mir jetzt gut zu, Mädchen«, sagte er ruhig, aber außer seiner Stimme war im Raum nicht einmal der Hauch eines Geräuschs zu hören.
»Da sie es dir gesagt hat, weißt du jetzt, was dort draußen ist.« Er nickte zu Meredith hinüber, wandte den Blick aber nicht von Jessica ab.
»Niemand, weder die Polizei oder sonst jemand und nicht einmal dein Freund, von dem Alwyn mir erzählt hat, wird glauben, daß du nicht von Anfang an eingeweiht warst, nicht mitgemacht hast. Du kämst in den Knast wie wir alle.«
»Dann gehe ich eben in den Knast«, sagte Jessica gelassen.
»Ich hätte schon vor langer Zeit zur Polizei gehen sollen. Ich hab gewußt, daß etwas nicht stimmt und daß ihr etwas verbergt. Aber du hast recht, es ist eine Familienangelegenheit, und ich habe nicht aus falscher Loyalität gegen die Familie geschwiegen. Ich wußte nur nicht, daß es sich um Drogen handelt. Hätte ich das gewußt, hätte ich es der Polizei sofort gemeldet. Doch nicht einmal von dir konnte ich mir vorstellen, daß du so tief gesunken bist. Wie die Dinge liegen, habe ich auch niemandem von dem Mann erzählt, der Freitag nacht hier war.« Alwyn fluchte unterdrückt, und der alte Winthrop blickte auf und flüsterte:
»Was weißt du denn davon, Mädchen?«
»Ich schlafe nicht gut. Das hast du vergessen. Ich habe aus dem Fenster geschaut und gesehen, wie du, Dad, mit Alwyn seinen Leichnam zum Landrover getragen hast und ihr weggefahren seid, so gegen vier Uhr morgens. Ihr habt ihn getötet, nicht wahr?«
»Nein, das haben sie nicht«, fiel ihr die Mutter schroff ins Wort.
»Du siehst, du weißt überhaupt nichts, Jess. Ich habe ihm den Schädel eingeschlagen. Er hat im Hof herumgeschnüffelt. Ich habe ihn gesehen. Der Hund hat mich geweckt, hat gewinselt und an der Kette gezerrt. Zuerst hab ich gedacht, daß er es ist …« Sie wies mit dem Kopf auf den Fremden, der sich aufrichtete, die Hände vom Tisch nahm und die Arme vor der Brust kreuzte.
»Ich bin hinuntergegangen, hab die Tür aufgemacht und gerufen, aber er hat mich nicht gehört und ist in den Stall gegangen. Also hab ich mir gedacht, der kann nichts Gutes vorhaben, hab den alten Schürhaken vom Herd genommen und bin dem Kerl nach. Er war auf dem Heuboden, hat über die Säcke gebeugt dagestanden. Als er mich hörte, wollte er sich umdrehen, aber ich hab ihm auf den Kopf geschlagen, so hart ich
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