Warte, Bald Ruhest Auch Du: Mitchell& Markbys Dritter Fall
Boxen wiehern und stampfen. Sie gehören nicht mir. Ich habe jetzt keine Rinder und Pferde mehr. Aber ich verpachte die Felder als Weideland an andere Leute, und zwei oder drei Pferdebesitzer stellen ihre Tiere bei mir unter. Ich miste die Ställe aus und füttere die Gäule, und Jessica Winthrop kommt fast jeden Tag rüber und hilft mir. Das arme Kind, hat keinen Funken Leben in sich, wissen Sie.«
»Ja, ich war eben drüben auf der Greyladies Farm …« Er wollte ihre Erzählung nicht unterbrechen, doch sie war ohnehin in Gefahr, vom Thema abzuschweifen.
»Und Sie haben vermutet, daß sich ein Eindringling hier herumtrieb?«
»Ich bin aus dem Bett aufgestanden und hab meinen alten Morgenmantel angezogen. Natürlich, der Hund ist hier, aber sie ist stocktaub, beinahe vierzehn Jahre alt, deshalb kann ich mich nicht drauf verlassen, daß sie was hört. Dann hab ich den Kopf aus dem Fenster gesteckt. Es war eine ziemlich klare Nacht am letzten Donnerstag, wie Sie sich noch erinnern werden. Aber um richtig was zu sehen, hätte sie noch klarer sein müssen. Direkt beim Hofeingang entdeckte ich einen Schatten, der sich bewegte. Ich hab gerufen und ihn gefragt, was er da unten macht, und da ist er verschwunden. Dann hab ich mich richtig angezogen, eine Taschenlampe genommen und bin hinuntergegangen, um nachzuschauen, ob mit den Pferden alles in Ordnung war.«
»War das nicht ein bißchen unbesonnen, Dolly?« sagte Markby besorgt. Sie mußte über sechzig sein.
»Wenn ich mich davor fürchten würde, hier allein zu leben, Alan, dann sollte ich’s nicht tun. Ich hab mein ganzes Leben hier verbracht. Ich war das einzige Kind meiner Eltern, und als ich heiratete, ist mein Mann hergekommen, und wir haben die Farm von den Alten übernommen. Wenn ich hier weggehe, dann mit den Füßen voraus in einer hölzernen Kiste. Die Stalltür war jedenfalls noch fest verschlossen, und es gab keine Anzeichen dafür, daß jemand versucht hatte, einzudringen. Ich kontrollierte die Fenster im Haus und hab mir gesagt, es war wahrscheinlich ein Landstreicher, der eine Scheune zum Schlafen suchte oder es vielleicht auf ein Huhn abgesehen hatte. Seit die neuen Prüfvorschriften wegen der Salmonellen eingeführt wurden, habe ich nur noch ein paar Hennen und den alten Hahn. Es hat keinen Sinn, sich noch Hühner zu halten, um Eier zu verkaufen. Lohnt sich nicht mehr. Aber ein paar halte ich noch für mich selbst, ich mag ein frisch gelegtes Ei zum Frühstück. Aber es gab im Hühnerstall kein Gezeter. Wäre es ein Fuchs gewesen, hätte der alte Hahn einen Höllenlärm gemacht. Nein, es war schon ein Kerl, aber mehr als eine Gestalt habe ich nicht gesehen.«
»Und später haben Sie niemanden mehr gesehen oder gehört?« Sie schüttelte den Kopf. Markby steckte das Foto wieder ein. Zwei Schritte vorwärts, einen zurück. Es war jedoch ein – wenn auch recht dürftiger – Hinweis.
»Danke«, sagte er.
»Das hat mir sehr geholfen.« Mrs. Carmody stand auf und ging zu einer sehr hübschen frühviktorianischen Anrichte. Sie öffnete die kleine Tür und bückte sich.
»Ich glaube, Sie könnten jetzt einen Tropfen Scotch vertragen. Sagen Sie nicht, daß Sie im Dienst sind. Außer uns beiden ist ja keiner da, und ich genehmige mir jetzt ganz bestimmt einen Schluck.«
»Schön, schön, ich trinke mit.« Er sah zu, als die bernsteinfarbene Flüssigkeit mit leisem Gluckgluck aus der Flasche ins Glas floß.
»Hier, trinken wir auf den Toten, wer der arme Teufel auch gewesen sein mag«, sagte Mrs. Carmody.
»Ex.«
»Der Alte«, sagte Sergeant Pearce zu Woman police constable Jones,
»hat die Farmer übernommen, und ich muß zu den Bauleuten.«
»Du willst wieder auf die Baustelle?« fragte Miss Jones.
»Dann nimm deine Gummistiefel mit.«
»Ich hoffe, er hat seine mitgenommen«, sagte Pearce grinsend. Als er auf der Baustelle eintraf, schien auf den ersten Blick alles wieder völlig normal. Doch bald stellte er fest, daß das eine Illusion war. Das Gelände um den Graben, in dem man den Toten gefunden hatte, war noch immer mit Seilen abgesperrt und verlassen. Niemand ging auch nur in die Nähe, und es war klar, daß es nicht etwa aus Respekt vor den polizeilichen Ermittlungen geschah. Es war ganz einfach so, daß der Ort in einem urzeitlichen Sinn tabu geworden war. Für die Männer, die diese Häuser bauten, bedeutete es Tod, wenn man sich auf diesen Platz wagte. Vor zweitausend Jahren hätte man den Ort mit Totenschädeln auf Pfählen und den
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