Warte, Bald Ruhest Auch Du: Mitchell& Markbys Dritter Fall
Schwester, falls Sie das noch nicht wissen sollten.«
»Ich weiß, Dolly hat es mir erzählt.«
»Also wissen es schon Hinz und Kunz«, brummte er vor sich hin.
Es hat mit Jessica zu tun, dachte Meredith. Worüber er auch brüten mag, es hat mit seiner Schwester zu tun. Hat Jessica ihnen von dem netten jungen Mann erzählt, der uns gestern vor dem Kleiderladen begrüßt hat? Ist es den Winthrops nicht recht? Doch sie war nicht hier, um nach Jessica zu fragen.
»Da hier so viele Häuser gebaut werden, wird sich für Sie wohl einiges verändern«, sagte sie ganz beiläufig.
Seine grauen Augen ruhten feindselig auf ihr. »Für uns? Ja, wieso denn das?«
»Ich meine, weil es hier herum keine Farmen mehr gibt.« Meredith war merkwürdig nervös. Sie begann Alans Problem mit den Winthrops zu verstehen. Egal, worüber man sich mit ihnen unterhielt, am Ende hatte man immer das Gefühl, man schnüffle auf ungezogene und verletzende Weise in ihren Privatangelegenheiten, stochere in einer offenen Wunde herum.
»Uns berührt es nicht im geringsten«, sagte Alwyn mürrisch. »Wir machen weiter wie bisher. Dad will es nicht anders.« Wieder schwelte Bitterkeit hinter seinen Worten.
»Ich verstehe. Gehört alles Land hinter der Baustelle Ihnen? Oder gehört es zur Witchett Farm. Ich habe dort Schafe gesehen.«
»Der Fluß bildet die Grenze zwischen Witchett und Greyladies. Aber wir haben von Dolly ein bißchen Weideland gepachtet.«
»Sie würden also kein Land an die Wohnbaugesellschaft verkaufen?«
Er schnaubte. »Wenn ich nur könnte. Dad würde schon bei dem Gedanken daran einen Anfall kriegen.« Alwyn wandte sich abrupt ab und pfiff dem Hund, der aufsprang. »Ich hoffe, Sie finden hier, was Sie wollten.« Er nickte zum Gebetshaus hinüber, aber seine Stimme klang spöttisch. »Ich habe zu arbeiten, also überlasse ich Sie sich selbst. Komm, Whisky.«
Den Hund an der Seite, entfernte er sich, und Meredith überlegte, ob seine Bemerkung »was Sie wollten« einfach ein Kommentar war oder eine Spitze sein sollte. Alwyn war schließlich kein Narr. Er beantwortete Fragen nur sehr ungern, und sie hatte zu viele gestellt. Er würde vermutlich zurückschauen, um zu sehen, ob sie sich tatsächlich für die Ruinen interessierte. Meredith ging hinüber und begann sich gründlich umzusehen.
Die Fundamente der vier Außenmauern waren noch sichtbar, doch nur die hintere Mauer hatte eine gewisse Höhe. Die Steine waren geschwärzt. Das Feuer hatte das Gebäude völlig zerstört. Wer es auch gelegt haben mochte – wenn es denn Brandstiftung gewesen war –, hatte gründliche Arbeit geleistet. Aber das ist merkwürdig, dachte Meredith. Ihr war nach Dollys Beschreibung nicht klar gewesen, wie nahe der Farm das Gebetshaus gewesen war. Als das Feuer in dieser Nacht anno 1842 ausgebrochen war, mußte es von Anfang an im Haus zu sehen gewesen sein. Wasser wäre im Hof von Greyladies ausreichend vorhanden gewesen, und den alten Ententeich in der benachbarten Koppel hatte es bestimmt auch schon damals gegeben. Der Abschied von den schweren Pferden war auch ein Abschied von Fuhrmann, Pflüger, seinem Jungen und ihren Familien gewesen, und heute bewirtschafteten die Winthrops das Land allein. Aber 1842, in den Tagen arbeitsintensiver Landwirtschaft, hätten viele tüchtige Hände für die Löscharbeiten zur Verfügung gestanden. Und doch war das Gebetshaus völlig abgebrannt. Hatte man vorher verabredet, daß man es brennen lassen wollte? Oder hatte die Hand, die das Feuer gelegt hatte, dort gewohnt, auf Greyladies?
Meredith setzte sich auf den Mauerrest und skizzierte sorgfältig einen Grundplan der Ruinen in ihr Notizbuch, zeichnete mit Pfeilen die Richtung zum Teich und zur Farm und die ungefähren Entfernungen ein. Während sie arbeitete, kam Wind auf. Er wehte ihr das Haar in die Augen und raschelte mit den Blättern ihres Notizbuchs, als wolle er ihre Aufmerksamkeit auf etwas Besonderes lenken. Sie hatte auch irgendwie das Gefühl, beobachtet zu werden. Alwyn war längst verschwunden. Sie versuchte sich einzureden, daß es seine mürrische Art und die seltsame Atmosphäre schwelenden Unglücks waren, die auf Greyladies lasteten und ihr dieses Unbehagen einflößten. Aber die Stille hier war – unirdisch. Ja, das war das richtige Wort. Das Gras war grün, Bäume und Hecken belaubt, der Himmel blau mit fliegenden weißen Wölkchen. Und dennoch war der Frühling hier irgendwie nicht vorhanden. Es war, als fingen die Dinge hier nicht an, sondern als
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