Warte, Bald Ruhest Auch Du: Mitchell& Markbys Dritter Fall
dem vorderen Buchdeckel hatte jemand sorgfältig ein gelbliches Pergament eingeklebt. In winziger Schönschrift standen da Geburten, Eheschließungen und Sterbedaten, folgte Winthrop auf Winthrop. Eingefügt waren ein oder zwei bemerkenswerte Ereignisse. 1820 sei der »alte König« gestorben hieß es; 1833 habe ein Sturm das halbe Dach weggerissen. Und hier: Am 21. Januar 1842 hatte ein Feuer das Gebetshaus der Dissenter vernichtet. »Eine Vergeltung Gottes«, hatte der Chronist fromm und wahrscheinlich mit einer Spur von Trotz hinzugefügt.
»Finden Sie es nicht merkwürdig, daß das Gebetshaus im Januar bei feuchtem Nieselwetter so völlig abgebrannt ist?« fragte Meredith.
Alwyn zuckte mit den Schultern und legte die Bibel in die Kassette zurück. »Im Winter haben sie große Feuer gemacht, um die Häuser trocken- und warmzuhalten. Es würde mich nicht überraschen, wenn die Glut in einem Kohlebecken weitergeschwelt hätte, herausgefallen wäre und sich wieder entzündet hätte.« Er hielt inne und blickte auf die Bibel hinunter, bevor er die Kassette zumachte. »Ma hat unsere Geburtsdaten hier eingetragen, meins, das von Jamie und zuletzt das von Jess. Sieht nicht so aus, als würden noch weitere hinzukommen.« Er sprach zu sich selbst, und Meredith spürte wieder das Unbehagen, das auch Alan hier überkommen hatte.
Mit der Fingerspitze berührte sie die Metallschließe der Kassette. »Alwyn, waren jemals Antiquitäten- oder andere Händler auf der Farm? Oder irgendwelche Fremde, die hier herumlungerten? Bei Mrs. Carmody war das der Fall.«
Über den Rand des Bechers hinweg, aus dem er trank, musterten sie Alwyns kühle graue Augen. Dann nickte er. »Sie hat mir davon erzählt. Ich habe ihr gesagt, sie soll sich einen Wachhund anschaffen. Der alte taube Spaniel ist zu nichts nütze. Ich habe ihr auch gesagt, wenn noch einmal irgendein Kerl bei ihr auftaucht, soll sie sofort bei uns anrufen, und entweder Dad oder ich würden rüberfahren und uns den Burschen vornehmen.«
»Aber hier war niemand?« fragte Meredith hartnäckig.
Er lächelte leicht. »Wir sehen nicht gern Fremde hier auf Greyladies.« Sein roter Schopf beugte sich über den Becher, und sie konnte sein Gesicht nicht sehen. »Anwesende natürlich ausgeschlossen«, fügte er höflich hinzu.
Sie ließ sich nicht täuschen. Sie hatte die Ruinen gesehen, und er hatte ihr die Bibel gezeigt. Es gab für sie keinen Grund mehr, noch einmal hierherzukommen. Das wollte er ihr damit unmißverständlich klarmachen.
Susie Hayman nahm sich an diesem schönen Frühlingsmorgen die Zeit, neue Vorhänge anzubringen. Zwar waren Vorhänge dagewesen, als sie das Haus übernommen hatten, doch sie waren nicht nach ihrem Geschmack und die im Schlafzimmer bei weitem die schlimmsten. Sie hatte Ken erklärt, sie könne sie nicht länger ertragen. An jedem Morgen aufzuwachen, die Augen aufzuschlagen und die Sonne durch diese scheußlichen Muster und Farben scheinen zu sehen … Dann hatte sie in Oxford im Ausverkauf genau die richtigen Vorhangstoffe zu einem sehr günstigen Preis entdeckt. Sie hatte die Vorhänge im Handumdrehen auf ihrer elektrischen Nähmaschine genäht und war wirklich stolz auf sie. Susie schwankte leicht auf dem Stuhl, auf dem sie stand; die Zungenspitze zwischen die zusammengepreßten Lippen geklemmt vor lauter Konzentration, schob sie den letzten Haken in die Vorhangschiene. Sie zupfte ein bißchen an dem Vorhang herum, damit er geradehing und dachte: Ich muß in den Garten hinausgehen und nachsehen, wie er sich von der Straße aus macht.
Beim Gedanken an die Straße warf sie hinter den Falten des schimmernden Satins hervor einen Blick hinaus in den Sonnenschein. Von hier oben sah sie über die Hecke, die den Garten des großen, alten Hauses gegenüber zu Straße hin abgrenzte. Vor den Fenstern dieses Hauses stand ein Mann. Ein Mann, der dort nichts zu suchen hatte, weil die beiden Leute, die das Haus bewohnten, den ganzen Tag in ihrem Laden in der Stadt arbeiteten. Sie kamen nie vor halb sieben nach Hause. Aber davon abgesehen, benahm sich der Mann auch sehr merkwürdig.
Susie erschrak. Sie zog den Vorhang ein wenig zu und spähte verstohlen in den Nachbarsgarten. Was machte er? Hatte er an der Haustür geklingelt und wartete kurz, um sicherzugehen, daß niemand öffnete? Jetzt war er zum Wohnzimmerfenster gegangen und schaute hinein. Wäre sie nicht hier oben gewesen, hätte sie ihn wegen der Hecke nicht sehen können, und er fühlte sich
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