Warten auf den Monsun
brauchten seinen Reichtum, die zusätzlichen Wasserkosten seien ein Problem, er, als Butler, sei für alles zuständig und niemand helfe ihm dabei. Aber der Mann sprang in eine vorbeifahrende Rikscha und verschwand.
Charlotte sah das Lächeln in Madans Gesicht und fand ihn noch anziehender als vor ein paar Stunden. Sie erinnerte sich an den Brief des Maharadschas – TU ES NICHT –, schloß die Tür des Salons und rollte den Teppich allein wieder zusammen.
Madan rieb beim Schein einer Kerze ein Stückchen Rosenholz über ein glänzendes rotes Band. Um ihn herum seufzte und ächzte das Haus. Nicht nur die Bäume und Pflanzen litten unter der extremen Hitze, auch das Gemäuer. Er hörte die Mäuse und Insekten an allem möglichen nagen, und im Garten lärmten die Grillen so laut, daß die Wolken, die den Monsun ankündigen, einfach kommen mußten. Obwohl Charlotte ihm immer noch nicht den Stoff für ihr Kleid gegeben hatte, hoffte er, das rote Band dafür verwenden zu können. Das Rot paßte zu ihren Haaren, und das Schimmern der Seide würde ihre Porzellanhaut leuchten lassen, als ob sie ein Engel wäre.
Was machst du da? ertönte ihre Stimme in seinem Kopf. Abrupt hörte er auf, das Rosenholz über den Stoff zu reiben. Er schaute zur Tür. Sie war geschlossen. Er sprang auf und blickte aus dem geöffneten Fenster. Im Licht der Mondsichel sah er nur die Skelette der erschöpften Bäume, die schwarze Silhouette des Küchenhauses und die weißen Steine, die auf dem Pfad leuchteten, der zur Straße führte. Die Frau, die den ganzen Tag durch seine Gedanken schwebte, war dort nicht. Madan fragte sich, wieso er ihre Stimme so klar und deutlich hatte hören können, obwohl sie nicht in der Nähe war. War die Entfernung, über die sie ihre Gedanken gegenseitig auffangen konnten, auf einmal größer geworden? Boten die Wände und Mauern des Hauses ihm keinen Schutz mehr? Hatte sie gehört, wie er über ihre Augen und ihre Haut gedacht hatte, über ihre grazile Gestalt und ihr lockiges Haar? Er ging zum Tisch zurück und ergriff wieder das Band.
Möchtest du, daß ich dir meinen Stoff bringe?
Erneut blickte Madan erschrocken auf. Sie mußte sich irgendwo versteckt haben. Aus den Augenwinkeln sah er unter den Tisch, wo der kleine Stoffhaufen lag, unter dem er schon mehrmals seinen Kopf voller Gedanken verborgen hatte. Er schaute hinter den Wandschirm, wo Kleidungsstücke zur Anprobe bereit hingen. Er sah unterm Schrank nach, wo sich nur ein kleines Kind hätte verstecken können. Er öffnete vorsichtig die Tür, langsam genug, um ihr die Chance zu geben, schnell weghuschen zu können und nicht ertappt zu werden, aber die Halle war leer, und er hörte keine Schritte. Wo bist du? rief er, doch aus der verlassenen Halle kam keine Antwort. Madan ging zurück zum Tisch, schob den leeren Teller beiseite und wollte eine neue Stoffbahn ausrollen, als er wieder ihre Stimme hörte – Du hast alles aufgegessen! Madan sah auf den leeren Teller. Für Essen interessierte er sich kaum noch. Er aß, wenn etwas zu essen da war, und er aß nicht, wenn es nichts gab. Mit Kochen hatte er sich noch nie abgegeben, und er war mit ein wenig Reis und Dhal aus einer Bude an der Straße zufrieden. Daß Frauen, wenn sie auf einen Saum oder die Änderung eines Abnähers warteten, immer Rezepte austauschten, war ihm unbegreiflich. Essen war Essen. Er mochte es zwar nicht, einen leeren Magen zu haben, aber er konnte trotzdem in aller Ruhe stundenlang mit der schweren Nähmaschine auf dem Gepäckträger des Rades unterwegs sein, auch wenn er nicht gefrühstückt hatte. Daß er ihre und sie seine Gedanken auffangen konnte, war etwas, woran er sich langsam gewöhnte; beunruhigend aber fand er es, daß sie nun in seinen Kopf kroch, obwohl er allein im Zimmer war. Wenn es eine romantische Träumerei gewesen wäre, hätte er es sich als Ausdruck seiner eigenen Sehnsucht erklären können, doch ihre Stimme war offenbar darüber erfreut, daß er seinen Teller leer gegessen hatte, und das verwirrte ihn. Er wollte zu Abbas beten und ihn um eine Erklärung bitten, aber befürchtete, daß sie dann auch sein Gebet hören könnte. Also versuchte er, an nichts anderes mehr zu denken als an das Kleid für die Frau des Richters. Er schob das Band beiseite, nahm den blauen Organza und begann zu schneiden.
Der Korken war mit den Jahren glatter geworden, und es hatte ein Weilchen gedauert, bis sie ihn wiederfand. Der Maus, die das kleine Loch einst genagt und
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