Warten auf den Monsun
halten. Sie kreischt, als sie Wadenkrämpfe bekommt. Sie fröstelt und klappert mit den Zähnen, obwohl sie schweißüberströmt ist. Hitze und Kälte wechseln sich in raschem Tempo ab. Sie schreit und brüllt. Panzer rollen weiter. Ihre Scheide steht in Flammen, und in ihren Unterleib bohrt sich ein Dolch.
»Pressen«, ermuntert die Nonne sie, »Sie dürfen pressen!«
Ich muß dich herauspressen , sagt sie im stillen zu dem Unbekannten. Bist du soweit? Bist du bereit? Sie schnaubt wie ein galoppierendes Pferd, das plötzlich anhält. Sie ballt die Fäuste, stemmt die Füße an den Bettrand und preßt. Urwaldlaute vermischen sich mit detonierenden Granaten. Sie spürt, wie sie durchgerissen wird. Ein ganz lauter, lang gedehnter Schrei. Der Pfropf, der schon seit Stunden zwischen ihren Beinen klemmte, zwängt sich nach draußen, mit einem ploppenden Geräusch glitscht er heraus.
Dann ist es still.
Sita blickt über Charlottes Kopf auf das Baby, das zwischen ihren Beinen liegt.
Plötzlich ertönt ein vibrierender Schrei, wie von einem Zicklein in den Bergen, das seine Mutter verloren hat.
»Möchten Sie noch wissen, ob es ein Mädchen oder ein Junge ist?« fragt die Nonne.
1995
Rampur
In vollem Galopp stürmte das pechschwarze Pferd über den Hügel. Die trockene Erde zerbröselte unter seinen Hufen und wirbelte hoch. Auf seinem Rücken saß ein Mann mit einem Turban und einem langen Mantel aus Samt, der seine Beine ganz bedeckte. Die siedende Hitze schien ihm nichts auszumachen. Charlotte, die im Gras kniete und mit bloßen Händen ein Loch grub, weil sie davon überzeugt war, daß hier irgendwo Wasser sein mußte, erkannte ihn sofort – Maharadscha Man Singh.
Er brachte den Rappen neben ihr zum Stehen. Der hochgewirbelte Staub sank langsam wieder herab. Durch den Staubschleier sah sie, zwischen den abgestorbenen und zerknickten Pflanzen ihres Gartens, die schwarzen Läufe des Pferdes. Sie war sich sofort bewußt, daß der verschlissene Pyjama, den sie trug, nicht die geeignete Kleidung war, um den Maharadscha zu empfangen. Am liebsten hätte sie sich in fliegender Eile umgezogen, bevor sich die Staubwolke legte, aber er hatte sie schon erkannt.
»Madam Harris!« rief er.
Nur in Neu-Delhi und in Bombay hatte man sie mit »Mrs. Harris« angeredet. Als sie nach Rampur zurückgekehrt war, hatte sie sich vom ersten Moment an wieder mit ihrem Mädchennamen, Bridgwater, ansprechen lassen. Sie war sich nie darüber im klaren gewesen, ob sie es getan hatte, um für neue Heiratskandidaten attraktiver zu sein, um ihre gescheiterte Ehe zu vergessen oder um ihren Vater zufriedenzustellen. Nun jedoch, als der Maharadscha sie »Madam Harris« nannte, glitt ihr Blick sofort hinauf zum Klavierzimmer, und sie fühlte sich beklommen, als sie sah, daß alle Fenster sperrangelweit offenstanden.
»Was führt Sie denn hierher?« Sie spielte die Überraschte, denn die Nachricht von seinem Ritt zum großen Haus auf dem Hügel war schneller vorangekommen als die Pferdehufe. Charlotte sah die klassische Stickerei auf seinem Kragen und an den Ärmeln, die in starkem Kontrast zu seiner verspiegelten Ray-Ban-Sonnenbrille stand.
»Warum sind Sie nicht zur Hochzeit meiner Tochter Chutki gekommen? Wir hatten Ihnen eine Einladung geschickt.«
Es dauerte einen Moment, bis Charlotte sich an die Einladung erinnerte. Der Text stand in Prägedruck auf prachtvollem Goldpapier, und die Karte hatte nach Rosen geduftet. Die Hand des Maharadschas glitt in seinen Mantel, und er zog ein ähnliches Kuvert hervor, das er ihr überreichte.
»Mein Sohn hat eine Frau gefunden.« Er wartete nicht, bis sie die Einladung geöffnet hatte, sondern trabte los und ließ sie in einem Nebel von Staub zurück.
Eine Prinzenhochzeit war etwas, was sie schon immer gern erlebt hätte. Für einen Sohn würde man weder Kosten noch Mühe scheuen. Der Palast würde mit Millionen Blüten geschmückt werden, die Wächter würden auf Elefanten thronen, auf der Zufahrt lägen Tausende Perserteppiche, die Springbrunnen würden Rosenwasser sprühen, und alles übrige würde mit Blattgold überzogen werden. Die neue Prinzessin würde wie im Märchen gekleidet und mit jahrhundertealtem Familienschmuck beladen sein, und das Volk würde, bis in die weitere Umgebung hinein, kostenlos tafeln dürfen. Das Fest würde mehr als eine Woche dauern, und die Leute würden noch nach Jahren davon erzählen …
Das Schnauben und Stampfen des Pferdes war verschwunden, und
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