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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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Memsahib.«
    »Gibt es Probleme?«
    »Nein, Ma’am, alles in Ordnung.«
    »Weißt du, wo die Nähmaschine vom Darsi ist?«
    »Ja, Ma’am, im Schuppen vom Mali.«
    »Im Schuppen vom Mali? Warum?«
    »Ma’am, der Schuppen ist besser für seine Arbeit.«
    »Bist du verrückt geworden, der Schuppen ist dreckig und heiß! Das Dach hat Löcher, und es gibt dort Schlangen.«
    »Der Mali sagt, daß es ein prima Haus ist.«
    »Der Mali ist tot. Ich will, daß du die Maschine sofort zurückbringst.«
    Hema nickte und verbeugte sich demütig. »Natürlich, Memsahib, natürlich.«
    Charlotte sah den beiden Männern nach, die über die Rasenfläche zum Schuppen gingen. Hema hatte noch nie etwas unaufgefordert getan. Ob er auch krank wurde? Sie zog die Fensterläden zu und wußte, daß es im Salon den Rest des Tages zu heiß war, um sich dort aufzuhalten.

1953
Rampur
     
     
     
    Am Bahnhof steht der Butler mit fünf Kulis. Sie ist froh, daß ihr Vater sie nicht abholt. Sie zieht den schwarzen Schleier tiefer ins Gesicht und hofft, daß niemand ihre Augen sieht. Zwei der Träger schlüpfen in ihr Abteil, schleppen die Dutzende Koffer nach draußen und binden sie auf dem Handwagen fest. Charlotte kümmert sich nicht darum, ihr einziges Interesse gilt dem Sarg, der aus dem letzten Wagen geladen wird. Ein einfacher Holzsarg mit dem Leichnam von Peter. Die Männer binden sich Tücher vor Nase und Mund, bevor sie den Sarg auf den Karren laden. Vater hatte sie für hysterisch erklärt und gesagt, niemand komme auf so eine Idee, aber Charlotte wollte unbedingt, daß ihr Mann neben ihrer Mutter beerdigt wurde.
    Sie hat das Grab ihrer Mutter nur ein einziges Mal besucht – im zweiten Jahr ihrer Ehe, bei ihrem ersten Besuch im Elternhaus. Sie war den Hügel hinabgelaufen zur St. Stephen’s Chapel. Der Friedhof lag hinter der Kirche. Sie war allein und wußte nicht, wo das Grab war. Nachdem sie zwischen halb eingesunkenen Steinen und wild wuchernden Sträuchern gesucht hatte und schon aufgeben wollte, fiel ihr Blick auf einen Stein mit der Inschrift:
     
    MATHILDA BRIDGWATER-BRECKENRIDGE
    1915-1938
     
    Sie hatte nie genau gewußt, wie alt ihre Mutter geworden war, und auch nie danach gefragt. Als sie den Stein sah, wurde ihr bewußt, daß sie in diesem Moment so alt war wie ihre Mutter, als sie starb. Aus dem Nichts waren die Tränen hochgequollen, sie hatte sich auf den Stein fallen lassen und die Arme um ihn gelegt, sie weinte alle Tränen, die sie schon ihr ganzes Leben hatte weinen wollen, Tränen über die Jahre der Einsamkeit in dem englischen Internat, über die Sehnsucht nach einer Mutter, über die Strafen, die ihr der Vater auferlegte, als sie noch ein Kind war, über ihren kleinen Bruder, der in einer anderen Stadt in einem Internat lebte und den sie nie hatte sehen dürfen, über Peters Kriegsleid, über das er nie reden wollte, über ihren unerfüllten Wunsch nach einem Kind. Sie konnte ihre Tränen nicht zurückhalten, und der Stein war klatschnaß geworden.
     
    Der Karren mit dem Sarg fährt vor ihnen her. Der Butler befiehlt den Männern, langsamer und pietätvoller zu gehen. Sogar fünf Meter hinter dem Sarg nimmt sie den penetranten Verwesungsgeruch wahr. Peters eigener Duft war verschwunden, schon lange vor seinem Tod. Sie gehen den Hügel hinauf zum großen Haus. Sie merkt nicht, daß sie von den Fenstern aus beobachtet wird.
    In den schwarzen Kleidern, das Gesicht vom Schleier bedeckt, ist sie jemand anders. Das ist sie schon seit der Nacht, in der sie von dem gräßlichen Kreischen aufgewacht war.
    Auf seinen Lippen war Schaum, und er hatte die Augen weit geöffnet. Sie versuchte ihn zu beruhigen, indem sie leise seinen Namen sagte. Er hörte und sah sie nicht. Was er statt dessen sah, wollte sie schon seit langem nicht mehr wissen, weil sie Angst hatte, dann auch solche Alpträume zu bekommen. Das Kreischen wurde immer durchdringender, er schlug ihre streichelnden Hände weg und weinte herzzerreißend, ohne daß aus seinen Augen Tränen kamen. Immer wieder sagte sie seinen Namen wie ein besänftigendes Mantra, aber sie kam nicht mehr an ihn heran. Er glitt weg, in eine erbarmungslose Tiefe. Hineingezogen von scharfen Klauen, die ihn nicht loslassen wollten, ihn schon zerrissen hatten. Von ganz weit stieg ein flehentlicher Hilfeschrei hoch. Sie rief, daß er bleiben müsse, nicht gehen dürfe. Daß sie ihn liebe. Daß sie ihn nicht allein lassen würde. Und sie log, daß sie keine Angst habe. Sein Schrei war

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