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Warum aendert sich alles

Titel: Warum aendert sich alles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Brandt
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»Imagination can change the world« – lies die Zeitung von gestern, von heute, von morgen.
    Die Einbildungskraft tout court steht seit der Romantik hoch im Kurs; welcher Intellektuelle schmeichelt ihr nicht? Der kalte Verstand dagegen soll sich lieber gar nicht erst sehen lassen, auch die Vernunft, die vorpostmoderne, nicht, speziell in Paris. In älteren Büchern liest man, der Aberglaube sei ein Produkt der ungezügelten Einbildungskraft. Wie sind Hexenverfolgung und Inquisition möglich, wenn nicht durch die Einbildungskraft von Priestern, die das Leben ihrer Opfer gründlich veränderten? »Imagination can change the world«. Die gute und schlechte.

»Ohnbeschadet der Mosaischen Geschichte«
    Die Gelehrten noch des 18.Jahrhunderts riskierten Kopf und Kragen, wenn sie Fragen der Erdgeschichte nachgingen: Wie war es möglich, daß sich im sibirischen Eis Mammutknochen fanden? Und daß Muscheln auf hohen Bergen fern von allen Meeren entdeckt wurden? Hier untersuchte einer die Erdgeschichte mit seinem eigenen Witz und seinem eigenen Verstand, dort stand die Bibel, die ihre orientalische Geschichte erzählte. Die unwürdige Lösung waren die zwei Wahrheiten. Die Erdgeschichte wird mit der Erklärung vorgetragen: »ohnbeschadet der Mosaischen Geschichte«. Wieviel vergessene Mühe der Aufklärung, als sei alles selbstverständlich und als habe die Religion immer schon für die Menschenwürde gekämpft.
Der bestirnte Himmel über mir
    Ein findiger Jamaikaner richtete eine Schiffslinie nach Long Island ein, wo New Yorker Bürger in der Nacht ohne Störung durch das Licht der Reklame die Sterne und das Unendliche unmittelbar sehen können. Kilometerlange Schlangen besonders von Jugendlichen warten auf diesen Blick in den nächtlichen unverstellten Himmel. Astronomen erklären vorher den Begriff der Unendlichkeit, in Broschüren wird den Bewohnern der Stadt erläutert, daß auch sie im Weltraum leben und daß sie zum All gehören mit allen Sternen, die von der Erde aus sichtbar sind. In manchen Nächten geschieht es, daß keine Geräusche bis zum Ort der Betrachtung gelangen, sondern sich ein dunkles, allumfassendes Schweigen ausbreitet. Für diese in ihrem Leben ganz neue Erfahrung der Stille wird eine besondere Gebühr erhoben. Zeugen berichten, daß viele Besucher des Nachthimmels und der Nachtruhe in Tränen ausbrechen.
Kategorischer Imperativ
in postmetaphysischer Lesart
    Â»Der kategorische Imperativ hält uns dazu an, die Wahl von Handlungsmaximen im Lichte einer unparteilichen Beurteilung dessen, was alle wollen können, vorzunehmen.« Nun können zweifellos alle wollen, daß ihre Autos der Natur zuliebe grün gestrichen werden; betrachte ich meine Maxime im Lichte dieses möglichen Allwillens, dann kann und muß ich mein Auto grün streichen. Aber auch rot. Was denn nun? Und was ist daran kategorisch, wenn ich beliebige Maximen universalisieren kann?
    Ich habe die Maxime, am Monatsbeginn mein gesamtes Geldvermögen von der Bank abzuheben. Können dies alle wollen? Sicher nicht, denn dann würde die Weltwirtschaft zum Schaden aller zusammenbrechen. Ich werde also zu der Maxime genötigt, mein Gehalt zu wechselnden Terminen abzuheben; aber bei jedem stellt sich eine Maxime ein, die nicht universalisierbar ist – der sichere Hungerstod.
    Radfahrer: »Ich universalisiere meine Maxime, vor der Tour de France Dopingmittel zu nehmen; nun können das zweifellos alle Beteiligten wollen, denn es tun sowieso alle. Ergo besagt dieser feine Imperativ, daß ich moralisch zum Dopen angehalten bin.«
    Â» [...], was alle wollen können« – das hat mit dem kategorischen Imperativ nichts zu tun; nicht »volonté de tous«, sondern die notwendige »volonté générale«.
Zivilgesellschaft
    Deutschland ist aus einer bis 1918 immer noch feudalen, bis 1945 chaotischen, am Ende bestialischen Gesellschaft zu einer commercial society geworden, in der die Vergangenheit aufpoliert wurde und der kommerzielle Nutzen die Federführung übernahm.
    Die commercial society hat den Ton in Deutschland geändert;bellten sich die Menschen und Nachrichtensprecher noch bis um 1968 wie die Feldwebel an, wurde der Umgang der Menschen allmählich kulant, alle hatten im Ausland gelernt und glichen sich sympathetisch an. Alle testieren der Bundesrepublik, sie sei das beste Deutschland, das

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