Warum aendert sich alles
Drama liefert einige tiefbewegende Zitate, vorgebracht in feiner Sprache, im besonders schicksalsschweren Heute. Feiner Applaus der Hörer.
Honesty Has Gone
Hesiod sagt es: »Zum Olympos gehen sie fort und fliehen die Menschen: Heilige Ehrfurcht und Scham, nur trauriges Elend bleibet den Sterblichen.« Paul Gerhardt singt beklommen: »Die Welt hält keine Zucht, Der Glaub ist in der Flucht, Die Treu ist hart gebunden, Die Wahrheit ist verschwunden.« Bernard de Mandeville in seiner Fable of the Bees von 1714: »Good Gods, Had we but Honesty!« Kant 1793: »O Aufrichtigkeit! Du Asträa, die du von der Erde zum Himmel entflohen bist, wie zieht man dich von da zu uns wieder herab?« Und die Beatles: »Honesty has gone.« »Alle Festigkeit verloren.« Die neue Mittwochsgesellschaft: »Aber diese Bemerkung soll weià Gott keinerlei Trost bedeuten â sie verweist lediglich auf den im alten Europa weitverbreiteten, gleichgerichteten moralischen Niedergang.« Und es wäre so einfach (Herbert Marcuse).
Sich empören
Gäbe es im psychischen Sortiment der Menschen nur den Zorn und die Freude und die Lust und Lernlust und Trauer, den Vaterkomplex und den Mutterkomplex, dann müÃten die Boulevard-Zeitungen ihr Erscheinen einstellen, denn der Nerv der Kauflust der Leser liegt nicht im Streben nach Erkenntnis, nicht im Zorn auf dieses und jenes, auch nicht in der Lust, schöne und bizarre Bilder zu sehen und obszöne Gedanken zu denken, sondern in der Empörung und Entrüstung. Wir empören uns über die Bestechlichkeit der Bankdirektoren, die Fahrlässigkeit der Verwaltung, die wachsende sexuelle GefräÃigkeit in den besseren Kreisen, die freche Lüge des Präsidenten und den Betrug der Minister, weil wir uns selbst mit dem Bonus des Besseren auf dem sicheren Ufer normaler, moralischer Menschen wissen. Man kann Angst vor dem Wirbelsturm haben, aber sich nicht über Wind und Wetter empören; man kann wütend und zornig sein über die Mäuse, die schon wieder eine »Kritik« zernagt haben, aber ihr Verhalten ist nicht empörend; Tiere selbst sind ängstlich, sogar verzweifelt, sie können mit Zorn oder Wut reagieren, aber kein Delphin oder Schimpanse ist je seit Beginn der Schöpfung empört gewesen. Empörung ist ein Wechselspiel aus moralischem, umfassendem Abscheu und SelbstgenuÃ. Nietzsche gehört zu den Menschen, die sich im Genuà des Besserseins öffentlich empören, etwa über Sokrates, Christus und Kant, der Applaus ist ihm, dem amoralischen Rhetor, gewiÃ. So wie wir mit einem Schein-Schrecken vom Land aus dem Schauspiel zusehen, wie ein Schiff auf dem Meer untergeht, und dabei unsere eigene Sicherheit genieÃen, so wie nach groÃen Unfällen sich Menschenmengen aufmachen, um das Schreckliche zu sehen und sich am StraÃenrand an der eigenen Unversehrtheit zu erfreuen, so durchströmt den Menschen ein Behagen, wenn er/sie sich über andere empört und, wenn möglich, die Empörung anderen im Laden, in einem Zeitungsartikel oder, wie Nietzsche, in einem Buch mitteilen kann.
In der ersten Zeile der europäischen Dichtung steht »menis«, Zorn: »Singe, o Muse, den Zorn des Achill [...]«, so beginnt die Ilias . Achill ist zornig, weil Agamemnon ihm Briseis, die schönste Kriegsbeute, abgenommen hat, und zieht sich zornig aus den Kriegshandlungen zurück. Er ist nicht empört oder entrüstet über die ungerechte Handlung; hätte Agamemnon dem Odysseus das schöne Mädchen genommen, dann wäre Odysseus zornig, Achill jedoch und seine Genossen hätten in ihren Zelten fröhlich gelacht, aber sich nicht empört. Hesiod, der Bauer und Kleinbürger, ist dagegen empört über seinen Bruder, der ihm das Erbe streitig macht. Bei dem Komödiendichter Aristophanes ist ein Alter empört, weil die Jugend immer respektloser wird. Wie steht es mit der Empörung in der Bibel ? Niemand ist empört über den Befehl des neurotischen Gottes, Abraham solle seinen Sohn Isaak töten, einfach so. Wer sich empört, wendet sich an die Ãffentlichkeit; Zorn und Ãrger können rein privat sein, die Empörung ist schon immer mediengerecht zurecht gefühlt.
Für die Medien: Zur strategischen, marktmäÃigen Auslösung des Affekts der Empörung gehört die Kenntnis der üblichen Menschen, die zu unbedeutend sind, um zur groÃen Korruption zu
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