Warum Burnout nicht vom Job kommt. - die wahren Ursachen der Volkskrankheit Nr. 1
Familie. Der Vollverdiener als Märchenprinz hat also ausgedient. Viele Männer wollen das auch gar nicht mehr sein – immerhin 43,5 Prozent der Befragten würden ihre Karriere für ein Kind zurückstellen, über 80 Prozent könnten sich vorstellen, ihr Kind aktiv zu betreuen – doch zwischen Männerwunsch und Väterwirklichkeit klafft offenbar ein großer Widerspruch. Und die Frauen sind am Ende offenbar doch diejenigen, die die Windeln wechseln und den Müll runtertragen.
Es gibt heute in beinahe jedem Lebensmodell eine praktikable Lösung dafür, wie Mütter und Väter ihre Arbeit organisieren können: Teilzeit-Möglichkeiten, Gleitzeit-Modelle, Homeoffice-Lösungen und vieles mehr. Chefs und Unternehmen sind flexibel wie nie zuvor und stellen sich auf ihre Mitarbeiter ein. Die Voraussetzungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie waren noch nie so gut wie heute. Die Anforderungen im Job sind also kaum ein greifendes Erklärungsmodell für die hohe Zahl an Überstunden bei jungen Vätern. Was steckt dann dahinter? Ich bin überzeugt davon, dass hier nur ein Fokuswechsel hilft: Nicht die Bedingungen im Job sind in diesem Zusammenhang interessant, sondern die im privaten Umfeld.
Gertrud Fritsche erzählte mir euphorisch von ihrem geplanten Familienurlaub. Ziel war ein romantisches Ferienhaus an der Côte d’Azur. Mit dem familieneigenen Wohnmobil sollte es in mehreren Etappen gen Süden gehen, sodass die Reise für die drei Kinder nicht in Stress ausarten würde. Ausreichend Pausen und Bespaßung während der Fahrt hatte sie minutiös geplant und vorbereitet, mehrere Mahlzeiten vorgekocht – alles war perfekt organisiert. Mich beschlich zwar der leise Verdacht, dass ihre eigene Erholung angesichts all der Ansprüche, die Gertrud Fritsche an die Rundum-Versorgung ihrer Familie stellte, bei einem solchen Urlaub wohl hintanstehen und sie wahrscheinlich erst recht urlaubsreif zurückkommen würde. Aber ich wollte ihr Planungsglück nicht trüben und ließ mich von ihrer Vorfreude anstecken.
Als ich die 43-Jährige 14 Tage später wiedertraf, war ich dann doch erschrocken über ihre erschöpften Gesichtszüge und die tiefen Ringe unter ihren Augen. Der Urlaub sei sehr schön gewesen, erzählte sie auf meine Frage hin, doch habe den Jüngsten auf der Rückfahrt leider eine Mittelohrentzündung geplagt, sodass die ganze Fahrt recht anstrengend gewesen war. Und da sie unbedingt noch den Kinderarzt konsultieren wollte, habe die Familie beschlossen, die letzte Zwischenübernachtung auszulassen, und sei direkt heimgefahren. Spät in der Nacht musste dann zu Hause nicht nur das Auto ausgeladen, sondern auch die übermüdeten Kinder versorgt werden. Und zu allem Überfluss erwartete sie dort auch noch die Nachricht einer befreundeten Mutter, die sie dringend um Mithilfe beim Kindergartenfest am nächsten Tag bat. Für Gertrud Fritsche bedeutete das: Nach dem Arztbesuch am folgenden Vormittag musste sie in der Küche verschwinden, um Streuselkuchen für eine Großmannschaft zu backen, während Berge von Wäsche darauf warteten, versorgt zu werden. Völlig übermüdet rührte sie den Teig zusammen und ärgerte sich über sich selbst: Warum hatte sie nicht einfach Nein gesagt?
Jede Gruppe hat ihre eigenen Trägheitsgesetze. Es sind immer die gleichen Personen, die die gleichen Aufgaben übernehmen – und somit den Rest der Gruppe aus der Verantwortung entlassen. Helga organisiert jedes Jahr das Betriebsfest, Gisela ist die Dauer-Kaffeefee, Gertrud backt immer den Kuchen, Helmut steht jedes Mal am Grill. Sollte einer von ihnen nun aber einmal nicht zur Verfügung stehen, wird das von der Gruppe negativ bewertet – während die vielen anderen, die sich nie um Kaffee, Kuchen oder Grillgut kümmern, gar nicht erst zur Diskussion oder in der Kritik stehen. Und falls doch einmal jemand aus der Nicht-Kuchengruppe mit Selbstgebackenem auftaucht, wird er mit Lob und Anerkennung überhäuft, wohingegen die Kuchenerzeugnisse der üblichen Verdächtigen als selbstverständlich hingenommen werden. Das ärgert Gertrud und Gisela vielleicht, ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie aus ihrer Rolle nicht mehr herauskönnen. Merkwürdige Gruppentiere sind wir ...
Die Suche nach Gemeinschaft ist eine ganz grundlegende menschliche Eigenschaft. Wir brauchen den anderen, um uns weiterzuentwickeln, um die eigene Identität zu bilden. Wir sind einfach so gemacht! Wir können gar nicht ganz allein existieren; nur in der Gemeinschaft
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