Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung
und die Zeit im Alter so beunruhigend schnell vergeht: unbewußt sehen wir die Zeit der Uhr vor dem Hintergrund der physiologischen Zeit. Die objektive Zeit, erklärte Carrel, die der Uhr, schreitet in gleichmäßigem Tempo voran, wie ein Fluß durch eine Tiefebene. Zu Anfang seines Lebens rennt der Mensch noch munter am Ufer entlang, schneller als der Strom. Gegen die Mittagszeit ist sein Tempo schon ein bißchen geringer und er läuft in derselben Geschwindigkeit wie der Fluß. Gegen Abend, wenn er müde wird, beschleunigt der Strom, und der Mensch fällt zurück. Schließlich bleibt er stehen und legt sich hin, neben einen Fluß, der seinen Lauf in demselben unerschütterlichen Tempo fortsetzt, in dem er schon den ganzen Tag strömte.
Literatur
A.D. Baddeley, »Reduced body temperature and time estimation«, American Journal of Psychology, 79 (1966), 475-479.
A. Camus, L'etranger (1942). Zitiert aus: Der Fremde, Reinbek bei Hamburg, 1994. Carrell, Man, the unknown, London 1953.
S.E. Crawley & L. Pring, »When did Mrs. Thatcher resign ? The effects of ageing on the dating of public events«, Memory, 8 (2000), 111-121.
L.W. Doob, Patterning of time, New Haven/London 1971.
M.G. Flaherty, A watched pot. How we experience time, New York/London 1999. RG. Gray, »The memory factor in social surveys«, Journal of the American Statistical Association, 50 (1955), 344-363.
J.-M. Guyau, La genese de l'idee de temps, Paris 1890.
H. Hoagland, »The physiological control of judgments of duration: evidence for a chemical clock«, Journal of General Psychology, 9 (1933), 267-287.
W. James, The principles of psychology, New York 1890.
P. Janet, »Une illusion d'optique interne«, Revue Philosophique, 3 (1877), 497-502. E. Jünger, Das Sanduhrbuch, Frankfurt a. M. 1954.
G. Krol, Een Fries huilt niet, Amsterdam 1980.
P.A. Mangan, Rapport voor Annual Meeting of the Society for Neuroscience, Washington 1996.
Th. Mann, Der Zauberberg, Berlin 1924.
E. Meumann, »Beiträge zur Psychologie des Zeitbewusstseins«, Philosophische Studien , 12 (1896), 127-254.
J. Michon, V. Pouthas & J. Jackson (Hrsg.), Guyau and the idea of time, Amster-I dam/Oxford/New York 1988.
I C. Orlock, Inner time, New York 1993.
M. Proust, ^4 la recherche du temps perdu. Le Cöte de Guermantes II, (1920-1921). Zitiert aus: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Die Welt der Guermantes II, | Frankfurt a. M. 1976.
i Th. Ribot, Les maladies de la memoire, 1881.
M.S. Shum, »The role of temporal landmarks in autobiographical memory proces-ses«, Psychological Bulletin, 124 (1998), 423-442.
J. Sully, Illusion. A psychological study, London 1881.
E.J. Zwaan, Links en rechts in waarneming en beleving, Utrecht 1966.
Horror vacui: über das Vergessen
Unser Gedächtnis ist verletzlich und gleichzeitig widerstandsfähig. Es braucht wenig, um es durcheinanderzubringen. Ein Blutgerinnsel, ein kurzer Sauerstoffmangel, eine Hirnhautinfektion -der geringste organische Defekt kann bereits nicht wiedergutzumachenden Schaden anrichten. Dennoch bleibt selbst bei den einschneidendsten Formen von Gedächtnisverlust auch vieles intakt. Menschen, die an einer Amnesie leiden, erinnern sich noch sehr wohl an die Bedeutung von Worten und Symbolen, wissen noch, welche Bewegungen sie machen müssen, um sich anzuziehen oder zu essen. So groß die Verwüstung bei Hirnverletzung anfangs auch zu sein scheint, zeigt sich doch oft im nachhinein, daß manche Gehirnteile bemerkenswert ungeschoren davongekommen sind.
Von allen Gedächtnisformen ist das autobiographische Gedächtnis am anfälligsten für Störungen. Erinnerungen können durch zwei Arten von Gedächtnisverlust abhanden kommen, die man auf einer Zeitachse abmessen kann. Bei retrograder Amnesie sind Erinnerungen an Ereignisse angegriffen, die vor der Schädigung lagen. In der drastischsten Situation ist alles weg: woher man kam, was man tat, wer man war. Der Vergangenheit steht man so unwissend gegenüber wie der Zukunft, sich selbst ist man so unbekannt wie ein Fremder. Die andere Form, anterograde Amnesie, verhindert die Festlegung von Erinnerungen nach der Verletzung. Man behält seine Vergangenheit, aber die Zukunft eines Menschen wird nie zu seiner Vergangenheit werden. Wäre das
autobiographische Gedächtnis wirklich ein Tagebuch, wären bei anterograder Amnesie alle weißen Seiten herausgerissen; bei retrograder Amnesie gibt es nur noch leere Seiten.
Egal, ob ein Patient nun an der einen oder anderen Amnesie
Weitere Kostenlose Bücher