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Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung

Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung

Titel: Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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gewesen. Aber Sobibor war nicht mehr als die Kreuzung zweier Eisenbahnlinien, zu winzig, um auf einer Karte angegeben zu sein. Man mußte schon fast in Sobibor gewesen sein, um von seiner Existenz zu wissen, urteilte der israelische Gerichtshof.
    Ein weiteres Problem mit dem Alibi war ein Detail, das in der Erklärung des SS-Wachmanns Danilchenko vorkam. Allen Mitgliedern der SS und der Waffen-SS tätowierte man unter der linken Achsel ihre Blutgruppe ein. Danilchenko sagte, er und Demjanjuk hätten während ihres Dienstes im bayrischen Lager Flossenbürg auch eine solche Tätowierung bekommen. Demjanjuk hatte an dieser Stelle eine Narbe. Er erklärte, dort habe sich keine deutsche, sondern eine ukrainische Tätowierung befunden, und er habe diese selbst mit einem Meißel entfernt, als er zu Wla-sows Division kam. Zu keinem Augenblick während der jahrelangen Prozesse konnte Demjanjuk ein überzeugendes Alibi präsentieren. Erst im Berufungsverfahren wurde klar, warum das auch nicht zu erwarten war.
    Der Fall der Mauer und die Umwälzungen in der Sowjetunion eröffneten sowohl der Anklage als auch der Verteidigung Möglichkeiten, selbst Archivnachforschungen zu betreiben. Davor stand ihnen nur Material zur Verfügung, das vom KGB durchleuchtet worden war. Die Staatsanwaltschaft fand eine Liste mit Namen von Männern, die aus Trawniki nach Sobibor versetzt worden waren. Hierauf kam auch Demjanjuk vor, komplett mit Geburtsdatum und -ort und seiner Nummer 1393. Auf einem anderen Dokument, datiert auf den 1. Oktober 1943, standen Demjanjuk und Danilchenko mit dem Standort Flossenbürg vermeldet. In Vilnius, Litauen, lag ein auf den Januar 1943 datiertes Ersuchen, Demjanjuk diziplinarisch mit 25 Peitschenhieben zu bestrafen, weil er das Verbot übertreten hatte, das Lager Majdanek zu verlassen: er hatte in einem Nachbardorf Zwiebeln und Salz geholt. Des weiteren tauchte ein Verhör von Danilchenko auf, das bereits 1949 durchgeführt worden war und in dem er Demjanjuk als einen Wachmann beschrieb, der so wirkungsvoll bei der Vernichtung assistierte, daß er ab und zu auch mitdurfte, um Juden aus ihren Ghettos zum Lager zu transportieren. Neben diesen Dokumenten aus ukrainischen und litauischen Archiven tauchten in Koblenz Dokumente auf, die angaben, daß Demjanjuk und Danilchenko 1944 in Flossenbürg stationiert waren. Einem Waffenregister zufolge hatte man ihnen eine Mauser und ein Bajonett ausgehändigt.
    Aber wenn Demjanjuk nicht der Iwan von Treblinka war, wer war er damit
    Dokumentarfilmer der CBS stellten 1988 Nachforschungen an, ob in der Umgebung von Treblinka noch Menschen am Leben waren, die Iwan den Schrecklichen gekannt hatten. In einem kleinen Dorf, weniger als einen Kilometer vom Lager entfernt, verwies man sie an Maria Dudek, die während des Kriegs als Prostituierte gearbeitet und Wachmänner unter ihren Kunden gehabt hatte. Iwan den Schrecklichen kenne sie wohl, sagte sie, er sei ein Jahr lang ihr fester Kunde gewesen. Er hatte ihr erzählt, welche Art von Arbeit er in dem Lager verrichtete. Auf die Frage, ob sie auch seinen wirklichen Namen kenne, antwortete sie ohne jegliches Zögern: »Iwan Marchenko«. Aus Scham über ihre Vergangenheit als Prostituierte weigerte sich Dudek, inzwischen um die siebzig, ihre Erklärung vor laufender Kamera abzugeben. Als Demjanjuks Verteidiger Sheftel ein Trankskript der Sechzig-Minuten-Doku-mentation in die Hände bekam, beschloß er, Dudek selbst zu besuchen. Er legte ihr eine Reihe von Fotos vor, darunter auch die Demjanjuks, und fragte, ob sich Iwan Marchenko darunter befände. Sie verneinte. Sheftel zeigte auf das Foto Demjanjuks und fragte, ob er das sei. Wieder verneinte sie. Sehr zum Bedauern Sheftels weigerte sie sich, nach Jerusalem zu kommen, um eine Aussage zu machen, aber jetzt, da der Name Marchenko aufgetaucht war, konnte man zielstrebig in den Archiven suchen.
    Danach folgte ein Fund dem anderen. In einem ukrainischen Staatsarchiv tauchte eine Sammlung von Geständnissen von Wachmännern auf, die in Treblinka gedient hatten und nach dem Krieg von der russischen Armee verhaftet worden waren. Rund zwanzig Angeklagte nannten Iwan Marchenko als den Mann, der den Dieselmotor bedient hatte. Auch von ihm gab es einen Traw-niki-Personalausweis, und manche erkannten ihn auf dem Foto. Sie schätzten ihn auf etwa 30 Jahre. Marchenkos Assistent bei der Gaskammer wurde als Nicolai Schalajew identifiziert. Nach seiner Verhaftung im Jahre 1950 erzählte er in seinem

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