Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung
über Affinität mit exakten Studien, signifikante Korrelationen gefunden. Auch der Zusammenhang zwischen Dejä-vu-Erlebnis und Depersonalisation erwies sich als signifikant. Von den beiden Vorhersagen Heymans bestätigte sich seine erste in der erneuten Analyse. Bei der zweiten Vorhersage hatte er weniger Glück: bei der Wiederholung erwiesen sich lediglich die Unterschiede bei der Wortverfremdung als signifikant. Offensichtlich unterscheiden sich Befragte, die von Dejä-vu-Erlebnissen oder Depersonalisation oder von beidem berichten, wohl von >negativen< Befragten, aber innerhalb dieser Gruppe positiven Befragter gibt es keine Unterschiede.
Dejä-vu-Erlebnisse, Schizophrenie und Epilepsie
Heymans war kein Nervenarzt. Die Studenten, die er befragt hatte, litten nicht unter psychischen Störungen. Aber innerhalb der Gruppe der geistig gesunden Befragten waren es die emotional labilen Personen, die am häufigsten ein Dejä-vu-Erlebnis hatten, und die Umstände, unter denen die Dejä-vu-Erlebnisse auftraten, wiesen auf eine psychische Schwäche hin, so leicht oder vorübergehend sie auch war. Durch die Entdeckung eines Zusammenhangs mit Depersonalisation verschoben sich die Dejä-vu-Erleb-nisse in Richtung auf Pathologie und psychische Störungen. In diesem Umfeld befinden sie sich in bezug auf Forschung und Theoriebildung noch immer. Nahezu alle Dejä-vu-Studien der vergangenen dreißig, vierzig Jahre wurden von Psychiatern und Neurologen durchgeführt. Ihr Fach bringt mit sich, daß sie auf einen Zusammenhang mit klinischen Erscheinungen oder organischen Störungen achten. 1969 stellte der Psychiater Harper in einer nichtpsychiatrischen Gruppe denselben Zusammenhang zwischen Dejä-vu-Erlebnis und Depersonalisation fest wie Heymans. Auch bei einer auf Depersonalisation gerichteten Studie unter fast 900 Studenten wurde 1972 ein Zusammenhang mit Dejä-vu-Erlebnissen gefunden. Eine ähnliche Verbindung zur modernen Forschung gibt es bei Heymans' Beobachtung, daß sich Dejä-vu-Erlebnisse vor allem im Zusammenhang mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen zeigen. Richardson und Winokur stellten 1968 fest, daß innerhalb einer Gruppe psychiatrischer Patienten Dejä-vu-Erlebnisse bei emotional labilen Personen und bei Jugendlichen mit Anpassungsschwierigkeiten häufiger vorkamen.
Aber Dejä-vu-Erlebnisse sind auch, und zwar schon seit langer Zeit, in Zusammenhang mit viel ernsthafteren Störungen als Depersonalisation gebracht worden. Bei bestimmten Formen von Schizophrenie können Dejä-vu-Erlebnisse so lange andauern, daß sie einen chronischen Charakter bekommen. Sie werden dann in ein so umfassendes System von Wahnvorstellungen aufgenommen, daß der Patient glaubt, ein Doppelleben zu führen oder dasselbe Leben zweimal zu leben. Es ist eine seltsame Pathologie, der Patient ist sein eigener Doppelgänger und interpretiert alles, was er erlebt und denkt, als ein Duplikat des anderen Lebens, irgendwo anders oder früher. Anders als bei einem >normalen< Dejä-vu-Erlebnis hat diese psychotische Variante einen allmählichen Beginn. Aber wenn es erst einmal angefangen hat, ist so ein chronisches Dejä-vu-Erlebnis auch fast nicht mehr zu vertreiben. In demselben Artikel, in dem er 1896 den Begriff >Dejä-vu-Erlebnis< einführte, beschrieb Arnaud den Fall von Louis. Dieser vierunddrei-ßigjährige Offizier hatte sich während seines Dienstes in Tonking Malaria zugezogen. Die heftigen Fieberanfälle hatten sein Gedächtnis angegriffen: er hatte viele Ereignisse aus seinem Leben vergessen, und es gelang ihm auch nicht mehr, seine aktuellen Erfahrungen zu speichern. Er wiederholte dieselbe Frage fünf- oder sechsmal innerhalb von wenigen Minuten. Etwa anderthalb Jahre später, Anfang 1893, erscheinen die ersten Symptome eines Dejä-vu-Erlebnisses: er behauptet, manche Artikel aus der Zeitung schon gelesen zu haben, er erkennt sie sogar so gut wieder, daß er glaubt, sie selbst geschrieben zu haben. Erst bleibt die Störung noch auf das begrenzt, was er liest. Aber ein paar Monate später ist er Gast bei der Hochzeit seines Bruders, und es kommt ihm so vor, als habe er die gesamte Zeremonie bis ins kleinste Detail schon einmal früher erlebt. Louis fragt sich, warum man ganz von vorn begonnen hat. Danach geht es schnell bergab. Er beginnt an Verfolgungswahn zu leiden. Im Sommer 1894 kann ihn sein Vater überreden, sich in der Anstalt von Vanves aufnehmen zu lassen. Dort kommt er unter die Obhut Arnauds. Schon bald macht Louis
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