Warum es die Welt nicht gibt
»Vorkommen« oder »Vorkommnis«. Der Erscheinungsbegriff ist aber neutraler. Auch Falsches erscheint, während es etwa gegen den Sprachgebrauch geht zu sagen, Falsches komme in der Welt vor. »Vorkommnisse« sind zudem greifbarer als »Erscheinungen«, weshalb ich den flexibleren Begriff der »Erscheinung« vorziehe. Man beachte: Dass Falsches erscheint (und damit existiert), bedeutet nicht, dass es wahr ist. Erscheinung / Existenz ist nicht identisch mit Wahrheit. Es ist zwar wahr, dass es falsch ist, dass es Hexen gibt, und Hexen erscheinen in dem falschen Gedanken, dass es sie in Nordeuropa gibt. Daraus folgt aber natürlich nicht, dass es Hexen nun doch in Nordeuropa gibt. Falsche Gedanken existieren, aber die Gegenstände, von denen sie handeln, kommen nicht in dem Feld vor, in dem falsche Gedanken sie verorten.
Wir wissen nun ungefähr, was Erscheinung ist. Doch was ist ein Sinnfeld? Wir haben bereits über Gegenstandsbereiche gesprochen: Kommunalpolitik, Kunstgeschichte, Physik, Wohnzimmer usw. Wenn wir diese Gegenstände als Gegenstandsbereiche auffassen, abstrahieren wir dabei tendenziell (wenn auch nicht notwendig) davon, wie die Gegenstände in den Bereichen erscheinen. Wie die Gegenstände erscheinen, hat häufig etwas mit ihren spezifischen Qualitäten zu tun. Es gehört zu Kunstwerken, dass sie uns auf verschiedene Weisen erscheinen. Es gehört aber nicht zu Nukleonen, dass sie uns auf verschiedene Weisen erscheinen. Man kann sie nicht verschieden interpretieren, sondern versteht nur, was es mit ihnen auf sich hat, wenn man den Gegenstandsbereich beherrscht, in dem sie vorkommen. Sinnfelder können vage, bunt und relativ unterbestimmt sein, Gegenstandsbereiche bestehen aus deutlich voneinander unterschiedenen und zählbar vielen Gegenständen. Für Sinnfelder gilt dies nicht unbedingt. Diese können schillernde, ambivalente Erscheinungen enthalten.
An dieser Stelle kann uns der Logiker und Mathematiker Gottlob Frege weiterhelfen, der auch ein paar sehr einflussreiche philosophische Texte verfasst hat. Denn zu Freges Zeit hat sich die Rede von Gegenstandsbereichen etabliert, und sie spielt eine wichtige Rolle in der Entwicklung der modernen Logik, die allerdings einen ziemlich falschen Existenzbegriff vertritt. Leser, die sich nicht mit der modernen Logik beschäftigt haben, dürften verwundert sein, dass moderne Logiker meinen, Existenz sei immer zählbar – eine abwegige und verdrehte Behauptung. Wenn ich mich frage, ob es Pferde gibt, frage ich mich nicht, wie viele Pferde es gibt, sondern, ob es Pferde gibt. Die Fragewörter »wie viele« und »ob« sollte man tunlichst unterscheiden.
Die moderne Logik hat den Begriff der Gegenstandsbereiche beinahe vollständig mit dem Begriff der Menge verschmolzen. Doch nicht alle Bereiche sind Mengen von abzählbaren und mathematisch beschreibbaren Gegenständen, für Kunstwerke oder komplexe Gefühle gilt dies etwa nicht. Nicht alle Bereiche, in denen etwas erscheint, sind Gegenstandsbereiche. Deshalb ist der allgemeinere Begriff der Begriff des Sinnfeldes. Sinnfelder können zwar als Gegenstandsbereiche im Sinne abzählbarer Gegenstände oder im noch präziseren Sinne mathematisch beschreibbarer Mengen auftreten. Sie können aber ebenfalls aus schillernden Erscheinungen bestehen, was weder für Gegenstandsbereiche noch gar für Mengen gilt.
Die Fehlentwicklung in der modernen Logik, Existenz mit Zählbarkeit zu verwechseln (ein typischer Fehler, der einem unterläuft, wenn man alles zählen und berechnen will), übersieht einen wegweisenden Hinweis Freges, der uns weiterhelfen wird. Kommen wir noch einmal auf Identität zurück. Frege hat sich in einem kleinen Meisterwerk, dem Aufsatz »Über Sinn und Bedeutung«, die Frage gestellt, wie Identitätsaussagen sowohl widerspruchsfrei als auch informativ sein können. 24 Nehmen wir die Aussage:
Der Schauspieler, der Herkules in New York war,
ist identisch mit dem neununddreißigsten Gouverneur von Kalifornien .
Diese Aussage würde man normalerweise freilich nicht so kompliziert formulieren. In einer Schwarzenegger-Biographie hieße es einfach:
Aus Herkules in New York wurde später
der neununddreißigste Gouverneur von Kalifornien.
Ein anderes leicht handhabbares Beispiel für eine Identitätsaussage ist:
2 + 2 = 3 + 1.
Es ist kein Widerspruch, dass Arnold Schwarzenegger einmal Herkules in New York und ein andermal Gouverneur von Kalifornien war. Beides stimmt. Dasselbe gilt für die Zahl 4. Diese
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