Warum französische Frauen nicht dick werden (German Edition)
die ich aus Amerika mitgebracht hatte. Die Straßen drüben wurden nicht von unwiderstehlichen
pâtisseries
gesäumt (obwohl es damals wie heute keinen Mangel gab an Ständen mit verführerischen
hot chocolate chip cookies
und sahnigem Eis, ganz zu schweigen von der wahnsinnigen Vielfalt an Süßigkeiten in den Supermärkten, die noch weit schlimmer sind als Sahne und Butter). Aber wie ich herausfinden sollte, war es meine amerikanisierte
Art
zu essen, die sich in meinem Kopf eingenistet und mich schutzlos gemacht hatte gegenüber diesem so köstlichen Pariser Minenfeld süßer Versuchungen. In Amerika hatte ich mir verschiedene Dinge angewöhnt: im Stehen zu essen, nicht selbst für mich zu kochen und von dem zu leben, was auch die anderen aßen –
n’importe quoi
, wie man in Frankreich sagt.
Brownies
und
bagels
waren besonders gefährlich; bei uns zu Hause gab es nichts Vergleichbares, und woher sollte ich wissen, wie kalorienreich sie waren?
Auch in Frankreich aß ich dann
n’importe quoi
, obwohles keine
brownies
mehr gab. Vielleicht vermisste ich mein zweites Zuhause und suchte nach
madeleine
-Erinnerungen vergangener süßer Tage. Auf jeden Fall aß ich völlig sorglos, was Frankreich an »Gutem« zu bieten hatte, und am Ende wurde ich ein
millefeuille
-Junkie. Wie ein Süchtiger erwartete mein Körper, was ihn einst in kleinen Dosen in Glücksgefühle versetzt hatte.
Es war Zeit, in eine Rehabilitationsphase einzutreten, und glücklicherweise dachte Dr. Wunder nicht an einen abrupten Entzug, der zu einem
cold turkey
geführt hätte. (Franzosen sind weder nach heißem noch nach kaltem
dinde
, Truthahn, verrückt.)
Dr. Wunders Ansatz war weit weniger rau und umso kultivierter. Seiner Meinung nach schlummern in jedem von uns zwei Wesen, von denen das eine schlank und gesund sein möchte, was dem anderen jedoch egal ist. Das eine sieht das größere Ganze – Wohlergehen, Selbstachtung und wie man in die neueste Mode passt –, das andere nichts als Vergnügen, und zwar sofort. Das eine ist der Narziss in uns, der sich über das Wasser beugt, das andere der Pantagruel, der sich über den Tisch lehnt. Die Lösung, sagte er, bestand nicht darin, den Pantagruel zu besiegen, sondern ein
rapprochement
einzuleiten: die beiden Wesen miteinander zu befreunden und so seine Willenskraft
und
seine Genusswünsche unter einen Hut zu bringen. Darin bestand der französische Weg.
Man darf nicht vergessen, sagte er,
il y a poids et poids
– es gibt Gewicht und Gewicht: Es gibt das »ideale« Körpergewicht, wie man es auf den Tabellen von Versicherungsgesellschaften findet und das allein auf der Körpergröße gründet; es gibt das »Modegewicht«, das als Ideal weit weniger natürlich ist, dafür aber in Wirtschaft und Werbung eine große, manchmal heimtückische Rolle spielt; unddann gibt es das »Wohlfühl«-Gewicht, mit dem sich ein Mensch in seiner Haut wohl fühlt,
bien dans sa peau
, wie Montaigne es ausdrückt. Dieses »Wohlfühl«-Gewicht präsentierte mir Dr. Wunder als unser Ziel. Hat man es erreicht, lässt sich sagen: »Ich fühle mich gut und sehe gut aus.« Wie viele Pfunde das jeweils sind, variiert in den unterschiedlichen Lebensphasen, wobei es darauf ankommt herauszufinden, wie man gleichzeitig ein wenig narzisstisch und ein wenig hedonistisch sein kann. Wille und Genuss – das sind zwei Dinge, die längst nicht so widersprüchlich sind, wie viele annehmen. (Ja doch, ich erkenne durchaus den calvinistischen Zug daran, schließlich entstamme ich einer Familie von Hugenotten, also französischen Protestanten; dennoch nur keine Angst.)
Tout est question d’équilibre
– alles ist eine Frage der Balance: Das war Dr. Wunders französisches Mantra. Und es wurde damals auch zu meinem und ist es bis heute geblieben. Mir dabei zu helfen, mein persönliches Gleichgewicht zu finden und zu bewahren, damit ich mich wieder wohl in meiner Haut fühlte, das war unsere Aufgabe.
Es sei nichts falsch daran, erklärte er mir, Gebäck zu essen, aber mein Konsum sei aus dem Gleichgewicht geraten. Und so galt es, die nächsten drei Monate über gegenzusteuern, weniger reichhaltige Alternativen zu finden und mir die wirklichen Leckereien für besondere Anlässe aufzuheben – wofür sie auch gedacht sind. Das war weniger ein Entzug als eine Überlegung, eine Art Neuprogrammierung, denn ich sollte schon bald herausfinden, dass das Erlangen des erwünschten Gleichgewichts mehr mit dem Kopf zu tun hat als mit dem Bauch; es
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