Warum hab ich ihn gekuesst
getan, weil sie so vernachlässigt wird. Vielleicht sollte ich ihn eines Besseren belehren. Keine Angst", beschwichtigte er sie, als sie ihn erschrocken ansah, „ich habe nicht die Absicht, die Nacht auf deinem Sofa zu verbringen. Es gibt andere Möglichkeiten, zum Beispiel die, dir einen Ring anzustecken."
Nachdem Drew gegangen war, konnte sie nicht einschlafen, obwohl sie so müde war. Zum unzähligsten Mal fragte sie sich, was mit ihr los war. Je eher sie diese vermeintliche Verlobung beenden konnte, desto besser. Bisher war alles nach ihren Vorstellungen gelaufen. Dass Clive unerwartet aufgetaucht war, hatte Drew offenbar misstrauisch gemacht. Nun brauchte sie seinen Argwohn nur noch zu schüren, bis die Situation eskalierte. Trotzdem widerstrebte es ihr, weil sie sich damit auf Beverley Travers' und Drews Niveau hinabbegab.
6. KAPITEL
Als sie am Montag nach York fuhren, war das Wetter immer noch schön. Drew hatte Kirsty kurz vor elf abgeholt, und sie hatte bereits auf ihn gewartet. Aus einem Impuls heraus hatte sie den schicken grauen Hosenanzug angezogen, den Chelsea ihr geschenkt hatte, als sie die Schauspielschule beendet hatte. Der helle Grauton harmonierte mit ihrem dunklen Haar, und darunter trug sie ein schwarzes T-Shirt aus Seidenjersey, das sie im Winterschlussverkauf bei Harrods erstanden hatte.
Falls sie damit gerechnet hatte, dass Drew beeindruckt war, weil sie so viel Mühe auf ihr Äußeres verwandt hatte, war sie enttäuscht. Er hatte sie kurz angebunden begrüßt und sie dann zu seinem Wagen geleitet.
Kirsty warf ihm einen verstohlenen Blick zu, und dabei wurde ihr klar, wie wenig sie eigentlich über ihn wusste. Und doch waren Drew und sie im Begriff, sich zu verloben, wenn auch nur vorübergehend. Ob er eine Familie und außer Helen und Simon noch andere enge Freunde hatte, die gern über die „Verlobung" informiert worden wären? Sie konnte ihn sich kaum im Kreise einer Familie vorstellen, aber er musste Eltern oder andere Verwandte haben ...
„Du wirkst so bedrückt. Was ist es diesmal?"
Erst jetzt merkte sie, dass Drew sie ansah, und platzte heraus: „Ich habe mich gerade gefragt, was deine Familie wohl davon hält, dass ..."
„Ich habe keine Familie", fiel er ihr ins Wort, und seine Miene wurde abweisend.
„Aber ..."
„Oh, ich hatte mal Eltern - wenn man sie überhaupt so bezeichnen kann. Eine Mutter, die ihrem Mann untreu war und ihr Kind dann im Stich gelassen hat, nachdem sie von ihrem Geliebten schwanger geworden war. Und der Geliebte ist irgendwo im australischen Busch verschwunden. Sie sind mittlerweile beide tot", fügte er kühl hinzu, „und wenn der Ehemann meiner Mutter kein Mitleid mit mir gehabt hätte, wüsste ich wahrscheinlich nicht einmal, wer meine Eltern waren."
Seine Worte gingen Kirsty zu Herzen. Da ihre Eltern sie immer geliebt, ja fast behütet hatten, vermochte sie kaum nachzuvollziehen, wie jemand sein Kind einfach im Stich lassen konnte.
„Was ist los?" erkundigte er sich spöttisch. „Glaubst du mir nicht? Oder möchtest du die unerfreulichen Einzelheiten nicht hören?"
Als sie einen Protestlaut ausstieß, verzog er das Gesicht. „Vielleicht ist es gut so, dass diese Verlobung nur vorgetäuscht ist, sonst würdest du möglicherweise wissen wollen, wen du heiratest. Es ist unmenschlich, ein Kind über seine Eltern im Ungewissen zu lassen. Man fühlt sich wie in einem Vakuum, und niemand, der es nicht selbst erlebt hat, kann es verstehen. Man hat das Gefühl, nicht zur Gesellschaft zu gehören und seiner Identität beraubt worden zu sein."
Sie erinnerte sich daran, was Helen ihr auf der Feier erzählt hatte. Jetzt begriff sie, was Helen damit gemeint hatte. Hatte Drew deshalb Angst vor der Ehe? Weil er selbst ...?
„Deine Miene ist sehr aufschlussreich", erklärte er schroff. „Wahrscheinlich verachtest du mich jetzt, weil ich ein uneheliches Kind bin."
„Nein ... nein ... Ich habe nur daran gedacht, wie schrecklich es damals für dich gewesen sein muss", gestand Kirsty.
„Zuerst nicht. Ich bin in einem Kinderheim aufgewachsen. Erst im Teenageralter ist mir klar geworden, was das bedeutete. Es war eine schreckliche Zeit. Ich wusste nichts über meine Herkunft, nur dass man mich als Baby ausgesetzt hatte. Erst mit fünfzehn habe ich die Wahrheit erfahren, und das auch nur durch Zufall. Der Mann meiner Mutter hatte nach ihrem Tod die Briefe ihres Geliebten an sie gefunden, aus denen hervorging, dass die beiden ein
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