Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
zweckbestimmt geschaffen. Dabei hätte er, der die allmächtige Güte und Weisheit selbst ist, doch wohl aus allen möglichen Weltentwürfen einen guten, gar den bestmöglichen ausgewählt und verwirklicht. Mängel könnten sich dabei ergeben, aber nur, weil Geschöpfe begrenzt sind und nicht alle die höchste Stufe der Vollkommenheit innehaben können. Die Erfahrung bestätigt dieses harmonische Bild nicht; es stimmt höchstens phasenweise für ausgewählte Aspekte. Insgesamt zeigt die Erde sich als Sphäre des Kampfs, des Zufalls, der blinden Kräfte. Zwar haben sich im Lauf der Jahrmilliarden einige zusammenpassende Konstellationen herausgebildet. Zum Beispiel ist die Luft, wenn nicht industriell verseucht, zum Atmen geeignet, das Wasser zum Trinken. Aber diese Affinitäten erklärt die Theorie der Evolution besser als die Annahme, Gott habe im voraus gewußt, wie er die Luft erschaffen müsse, damit Menschen sie atmen können. Die Lebewesen haben sich in langen Zeiträumen an die Bedingungen angepaßt.
Zwar ist die Welt uns in Teilen begreiflich. Die Natur zeigt Gesetze, die, selbst wenn sie nicht absolut lückenlos gelten, doch den alltäglichen Umgang mit ihr relativ sichern. Bisher konnte man sich darauf verlassen, die Sonne werde am nächsten Morgen wieder aufgehen. Die Welt ist erkennbar, und das erklärte man sich früher damit, daß sie aufgestellt sei zwischen zwei Intellekten. Diese Überlegung setzte voraus, wir hätten zuvor die beiden Intellekte erkannt, den göttlichen und den menschlichen. Die Wahrheitsfähigkeit unserer Vernunft war damit nicht bewiesen. Sie war bereits vorausgesetzt.
Sehen wir einmal von den Verbrechen der Menschen ab, vor allem von ihren Kriegen – nicht um sie zu bagatellisieren, sondern nur, um für den Augenblick die Argumentation zu vereinfachen –, so zeigt doch die außermenschliche Natur unübersehbar Grausamkeit, Krankheiten und Tod. Erdbeben, Tsunami und Überschwemmungen bedrohen das Leben von Tieren und Menschen. Meteoriten verwüsteten die Erde, längst bevor es Menschen gab. Viele Tiere waren von Anfang an darauf angewiesen, Mittiere zu töten und aufzufressen. Nur besonders edle Tierarten wie Schmeißfliegen, Hyänen und Aasgeier begnügen sich mit bereits Getöteten.
Wir haben kein Recht dazu, uns über die Rücksichtslosigkeit der Natur zu beschweren. Denn, wie Kant einmal bemerkt, wissen wir nicht, welche Macht Naturkatastrophen noch hätten, hätte die Menschheit alle Intelligenz und Kraft, die sie für Kriege und Kriegsvorbereitungen vergeudet, zur Milderung der Desaster in der Natur verwendet. Weil sie Geld und Geist für Rüstungsausgaben verschwendet, steht sie hilfloser der Natur gegenüber als es sein müßte. Sie hat über ihren Kriegsvorbereitungen ungeheuer viel versäumt; daher weiß sie nicht, wie bedrohlich die Natur ohne ihre Unvernunft wäre. Aber abgesehen davon: Das Leben auf der Erde hat begonnen, und es wird vermutlich auf ihr ein Ende finden. Sieht das nach einem guten, weisen und allmächtigen Schöpfer aus? Wäre Gott zwar gut und weise, aber nicht allmächtig, dann könnte ihm niemand das Unglück vieler seiner Kinder vorwerfen. Angesichts des ungeheuren Elends des 20. Jahrhunderts haben nachdenkliche Christen vorgeschlagen, auf Gottes Prädikat ‹Allmacht› zu verzichten. Aber dann verzichte ich lieber ganz auf affirmative Sätze über das Satzsubjekt ‹Gott›.
Die Lehre von der göttlichen Vorsehung – das Wort war übrigens primär ein antik-philosophischer Ausdruck für die Erforschbarkeit der Natur –, kommt heute bei Besichtigung der wirklichen Welt in Bedrängnis. Das Böse ist unübersehbar. Trotz gewaltiger Anstrengungen großer Denker bleibt das Problem theoretisch ungelöst. Das christliche Denken hat vielfach versucht, der Tatsache des Schlechten das Gift zu nehmen. Es ist auf allen Wegen gescheitert. Dies möchte ich an sechs Versuchen zeigen.
1) Der erste Ausweg behauptete, das Schlechte sei unwirklich. Es sei nicht-seiend, ein bloßer Mangel an Sein. Es sei Deformation, habe nicht selbst eine Form. Es sei die Abwesenheit von etwas, das da sein sollte. Wenn ein Mensch blind ist, fehle nur die Sehkraft.
Diese Theorie ist keine Ausrede, die Theologen erfunden hätten, sondern ein Ergebnis der spätantiken Philosophie. Sie ergab sich, weil heidnische Philosophen beschlossen hatten, unter ‹Sein› das richtig Geformte, das erkennbar Strukturierte zu verstehen. Definiere ich ‹Sein› als ‹Harmonie der
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