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Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Titel: Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Flasch
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Elemente›, kann ich Krankheit als Mangel an Sein, aber nicht als ‹Sein› bezeichnen. Diese Denkweise kommt heute noch in unserem alltäglichen Sprechen vor, z.B. wenn ein Freund sich als unzuverlässig erweist, sagen wir: «Das ist kein wirklicher Freund.» Damit wollen wir nicht sagen, daß es diesen Freund nicht gibt ; wir nehmen das Wort ‹wirklich› normativ . ‹Wirklich› wäre das, was ist, wie es sein soll . Wir unterstellen zwei Stufen von Realität: Einerseits das, was faktisch vorkommt, und andererseits das Richtige. Von einem schlechtgebauten Haus, in das es hineinregnet, sagen wir: «Das ist doch kein Haus.» In solchen Redeweisen wirkt ein doppelbödiger Begriff von Wirklichkeit noch immer nach. Aber zunächst war er eine Systemkonsequenz. Wer unterstellt, alle Dinge seien Abbilder von Ideen, also von Normen und Vollkommenheiten, darf folgern, daß es das Schlechte zwar gibt , d.h. daß es de facto bei uns vorkommt , daß es aber nicht ‹wirklich› ist, weil es seiner Idee nicht entspricht. Theologen fuhren dann fort: Da das Schlechte nicht wirklich ist, stammt es auch nicht von Gott. Wir können die Vorsehung nicht dafür verantwortlich machen. Was Gott geschaffen hat, ist gut, d.h. wahrhaft seiend, normgerecht, ideen-affin. Diese Theorie bestreitet nicht, daß es Schlechtes gibt im Alltagssinn von Vorhandensein; sie leugnet nur, daß es ihrem selektiv definierten Konzept von Sein entspricht. Ihr geschichtlicher Ort war die plotinisierende Ablehnung des metaphysischen Dualismus, einer Zwei-Götter-Lehre wie im Manichäismus. Sie argumentierte ursprünglich nicht, alles Seiende sei gut, weil Gott es erschaffen habe, sondern sie leitete aus der philosophischen These, alles Seiende sei gut, die Lehre von der Begründung des Kosmos durch ein einziges Prinzip her. Wer argumentiert, weil Gott die Welt erschaffen habe, sei alles Seiende gut, dreht die Argumentation um und begeht einen Zirkelschluß.
    Man braucht nur die Beispiele zu ändern, um das Trickreiche dieser Denkart zu erkennen. Krankheit, sagte sie, sei die Abwesenheit dessen, was da sein sollte; sie sei nichts anderes als das Fehlen der Gesundheit. Blindheit wäre das Ausfallen der Sehfunktion, eine bloße Privation. Aber wählen wir Magenkrebs als Beispiel, läßt sich das Schlechte schwerlich als Abwesenheit definieren. Auch Parasiten sind lehrreiche Fälle. Die Privationstheorie des Schlechten betrieb die bewußte Umdeutung der menschlichen Leiderfahrung.
    Theologen sagten lange zur Entschuldigung Gottes, er habe das Schlechte zwar zugelassen, aber nicht gewollt und bewirkt. Diese Ausrede verschlimmert die Lage nur, denn dann wäre Gott nicht wirklich der Herr der Welt. Er bewirkt doch die Zulassung; er weiß doch, was er macht.

    2) Es gab eine zweite Theorie, um Klagen gegen die Vorsehung auszuschließen. Thomas von Aquino trug sie zusätzlich zur ersten ebengenannten Vertröstung in folgender Form vor: Bei uns auf der Erde gibt es Unordnung und Bosheit, aber dies setzt einen guten Naturbestand voraus. Der Wille, der das Böse wählt, ist als Kraft gut. Die Unordnung setzt die Ordnung, das Böse setzt das Gute voraus. Diese Überlegung fährt fort mit der Identifikation von ‹seiend› und ‹gut›, stützt sie aber weiter ab mit der Überlegung: Unordnung und Bosheit kämen bei uns zwar vor, seien aber beschränkt auf den kleinen Weltabschnitt unterhalb des Mondes. Dies sei der unterste und kleinste Teil des Universums, und in ihm mag es Versagen geben, aber der größere und wichtigere Teil des Universums sei ohne Makel und Mangel. Die Sterne bzw. die Himmelssphären bewegen sich ewig geordnet; der Mensch brauche nur zu ihnen aufzublicken, um sich zu überzeugen, wie klein das Wirkungsfeld des Schlechten im Ganzen des Universums dasteht.    [32]   Daher die große Bedeutung der Sterne im Weltbild des Thomas: Oberhalb der Mondsphäre drehen sich in ewigem Gleichmaß die Weltschalen, zunächst die der anderen Planeten, zuletzt die der Fixsterne. Bei ihnen gibt es keine Unordnung, nur in der untersten Etage des Weltenbaus vermischt sich Ordnung mit Unordnung. Hier unten bei uns geht es der Natur nicht um die Individuen, sondern um die Arten; in dieser Unterwelt des Werdens und Vergehens ist das Individuum nur aufgrund seiner Zuordnung zu seiner allgemeinen Wesensbestimmung intendiert und hat nur kraft ihrer indirekt oder sekundär ( per accidens ) teil an der Weltordnung. Immerbleibende Wesen wie Mond und Sonne sind um ihrer

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