Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
wenig vom großen Universum, aber auch er weiß nicht, ob es in fernsten Räumen mehr Gutes als Böses gibt. Dann kann auch er nicht wissen, ob es einen guten Erschaffer gibt. Gesteht er sein Nichtwissen ein, bin ich mit ihm einig. Denn ich sage ja nicht, ich könne beweisen, daß es keinen Gott gebe. Beweise für die Nichtexistenz sind schwer zu führen. Ich sage auch nicht, ich wüßte, daß ein guter Gott sich mit der Welterschaffung bemüht habe, nur habe es ihm an Allmacht gefehlt. Ich sage nur: Aus der gegebenen Welt kann ich nicht auf einen weisen und guten Allmächtigen schließen.
3. Am Anfang schuf Gott …
Daß in der Bibel sich Widersprüche finden, wird jetzt niemand in Abrede sein.
Goethe, Dichtung und Wahrheit, Zwölftes Buch
Es wäre von einigem Interesse zu erfahren, wo und wann und wie der Gedanke ‹Gott› aufgekommen ist. Meine Stellung zum Christentum hinge davon nicht ab, denn dessen Gott ist bereits durch eine Stufenreihe von Sublimierungen hindurchgegangen; er ist menschheitsgeschichtlich ein spätes Produkt. Er kam aus dem späten Judentum und trat in die hellenistische Welt ein, die neben dem volkstümlichen Polytheismus und den Mysterienreligionen ihr Konzept von Gott aus platonischen, aristotelischen und stoischen Texten speiste. Es wäre schon interessant zu wissen, was die ersten Menschen gemeint haben, als sie ihren Gott anriefen: Waren sie erschreckt von Donner und Blitz? Riefen sie ihn an bei Erdbeben? Baten sie ihn bei Dürre um Regen? Dachten sie ihren Gott als mächtigen König über den Wolken? Das werden sie wohl erst getan haben, nachdem sie einen irdischen König gehabt oder gewünscht haben. Feierten sie mit ihm, wenn sie ein Tier erlegt hatten? Verlangte er Anteil am Fleisch? Lange liebte er es, zu seiner Ehre Blut strömen zu sehen, auch Blut von Menschenopfern. Warum war er so versessen auf Beschneidung? Wäre es bei ihr nur ums Blut gegangen, hätten sie den Arm anritzen können; sie muß schon etwas mit Sex zu tun haben. Manche Religionen entwickeln urtümliche und blutrünstige Rituale und behalten sie jahrtausendelang bei. Archaische Reste. Die Religion als Museum uralter Bräuche.
Sahen die Frommen der Frühzeit ihren Gott mit leiblichen Augen? Als gewaltige Lichterscheinung? Hörten sie seine Stimme? In welcher Sprache redete er mit ihnen? Welche Rolle spielten in der frühen Religion Drogen, Träume, Orgien? Es sieht nicht danach aus, als habe am Anfang der Religionsentwicklung der reine Monotheismus gestanden, der dann später, wie ein frommer Missionar glauben machen wollte, zum Vielgötterglauben verkommen sei. Vom Gott der Philosophen spricht heute kaum jemand gut, weil vergessen ist, wieviel Traumdeutung und Eingeweideschau, Blutdunst, Totemismus und Superstition zu den vor-philosophischen Göttern gehörte. Im Umkreis der hellenistischen Kultur war ‹Gott› mitgeprägt vom Gott der Philosophen. Dieser teilte zumindest einen Charakterzug irdischer Machthaber nicht: die Gier, ständig gelobt zu werden. Te Deum laudamus , das ist ein Grundakkord der religiösen Sprache. Das muß nicht sein. Der Gott der Philosophen brauchte diese ewige Lobhudelei nicht. Der Christengott hat einige Prädikate des Philosophengottes in sich aufgesogen und mit orientalischen Herrschermanieren kombiniert. Den meisten Christen heute entgeht, was ihr Gott wäre, hätte er nicht den Philosophengott schon seit den letzten Schriften der Hebräischen Bibel absorbiert. Der Bibelgott ist ein Gott der Rache, des exklusiven Bundesschlusses und des Zornes. So präsentiert ihn schon das erste Buch der Bibel, die Genesis.
Das Wort ‹Gott› deckt bei Plotin oder bei Luther sehr verschiedene Inhalte. Ich verteidige den Gott der Philosophen gegen die Kritik der Unkundigen, die sich fälschlich Pascals bemächtigen und vom Gott der Philosophen schlechtreden, den sie nicht kennen. Er ist noch jedes Nachdenken wert. Alles, was in Europa ‹Vernunft› und ‹Welt› oder ‹Natur› hieß, hängt mit ihm zusammen, im Bösen wie im Guten, auch wenn es sich von ihm gelöst hat. Der Gott der Vernunft verwickelt immer noch in endlose Diskussionen. Sie verdienen theoretisches und historisches Interesse. Aber sie sind eine Sache unter Philosophen. Sie berühren heute nicht den Entschluß, kein Christ zu sein. Das suggerieren nur noch Kirchendenker. Diese vermindern den Kontrast zwischen dem griechischen Gott der Vernunft und dem Offenbarungsgott. Der Philosophengott war immer gleichbleibend neidlos
Weitere Kostenlose Bücher