Warum Mathematik glücklich macht: 151 verblüffende Geschichten (German Edition)
die Länge der Diagonalen im Einheitsquadrat. So dachte es Hippasos. Zunächst.
Alles änderte sich für Hippasos, als er erkannte, dass sich die Diagonale d nicht durch den Quotienten ganzer Zahlen darstellen ließ. Dies brachte die gesamte Weltordnung der Pythagoreer zum Einsturz. Und es kostete Hippasos das Leben. Seine Pythagoreer-Kollegen warfen ihn gelegentlich einer Schiffsfahrt aus Zorn in die Fluten.
Wie konnte Hippasos sich so sicher sein, dass keine ganzen Zahlen im Verhältnis Wurzel 2 zueinander stehen? Immerhin gibt es unendlich viele ganze Zahlen und unendlich viele Quotienten ganzer Zahlen. Müsste denn in diesem ganzen Zahlenkosmos nicht eine einzige für die Diagonallänge d zu finden sein? Denn warum sollten uns die ganzen Zahlen bei einer so anschaulichen Angelegenheit im Stich lassen? Immerhin hatten die alten indischen Mathematiker diese Länge bereits als 577/408 angegeben.
Hippasos hatte einen Beweis. Hier ist ein Argument, das alle Zweifel beseitigt, ein Unmöglichkeitsargument:
Einmal hypothetisch angenommen, es sei für zwei ganze Zahlen tatsächlich
Als Denkwerkzeug ist dies das Gegenteilsprinzip. Man nimmt versuchsweise das genaue Gegenteil von dem an, was man beweisen will. Nach Quadrieren beider Seiten und anschließender Multiplikation mit m 2 würde diese Gleichung übergehen in 2m 2 = n 2 .
Das Ergebnis dieser kleinen Intervention sieht zunächst recht bescheiden aus, doch wird uns damit die entscheidende Schwungkraft zuteil. Mehr noch: Dies ist der archimedische Punkt für das Problem. Man weiß ja, dass jede ganze Zahl eindeutig als Produkt von Primzahlen dargestellt werden kann, sich also in Atome zerlegen lässt, wenn man die Primzahlen, die Unteilbaren, als Atome im Zahlenreich auffasst. Das ist ein einfaches, aber extrem wichtiges Theorem in der Mathematik. So weit, so gut. Hier angekommen, hält sich ein simples Gerade/Ungerade-Thema für einen sofortigen Einsatz bereit. In der Tat: Es ist erkennbar, dass in der Zerlegung der Zahl n 2 die Primzahl 2 mit einer geradzahligen Häufigkeit erscheint. In der Zerlegung der Zahl 2m 2 aber erscheint sie mit ungeradzahliger Häufigkeit. Deshalb kann 2m 2 nie und nimmer gleich n 2 sein und somit auch nicht.
Ein ganz undialektischer Denkdreischritt ist das: These-These-Synthese. Unser Gerade/Ungerade-Thema und das Gegenteilsprinzip treten hier in Synergie mit einer elementaren Faktorisierungseigenschaft von Zahlen, zwei Denkwerkzeuge und ein Theorem als Sondereingreiftruppe. Beide Beweisschritte sind a priori nicht leicht zu erdenken, a posteriori leicht zu verstehen und sie siegen auf der ganzen Linie. Hübsch anzusehen ist es, wie sich hier Kompetenzen ergänzen und uns so eine ideale Kostprobe geboten wird für die Schönheit mathematischer Gedankenkonstruktionen. Ja, sogar für eine blitzsaubere intellektuelle Attraktion.
Schönheit als Weg
Die Hauptmotivation für den mathematischen Physiker Paul Dirac (1902–1984) bei seiner Arbeit war die Erzeugung von mathematischer Schönheit. Als er 1956 bei einer Veranstaltung in Moskau gebeten wurde, einen einzigen Satz zu nennen, den er der Nachwelt auf jeden Fall überliefern wolle, schrieb er diesen: «A physical law must possess mathematical beauty.» Also: Ein physikalisches Gesetz muss mathematische Schönheit besitzen.
91. Nachrichtliches zu Mathematik und Schönheit
Militante Umweltaktivisten der Earth Liberation
Front haben den ganzen Fuhrpark eines Autohändlers
mit Sprengsätzen vandalisiert und ihr «Oeuvre»
im Anschluss daran mit mathematischen Formeln
überzogen. Ein anonymer Bekenner, der sich als
Hauptschulabgänger mit einer Leidenschaft
für Mathematik bezeichnete, hat per E-Mail
gegenüber der Polizei erwähnt, dass die
Euler’sche Gleichung auf ein Geländefahrzeug
gesprüht wurde. «Wir dachten, es wäre nett,
noch etwas Verrücktes (‹kooky›) dazuzugeben.»
Er fügte hinzu, dass er die Formel schön fände.
Meldung in der Los Angeles Times , 18.9.2003
Die Euler’sche Gleichung drückt eine geheimnisvolle Beziehung zwischen 8 fundamentalen Symbolen der Mathematik aus, 5 gewaltigen Konstanten 0, 1, i, e, π und den alltagseingespielten Verknüpfungszeichen für Multiplikation, Addition und Gleichheit:
Dies ist eine magisch-mystische und gleichzeitig bizarre Aussage, denn was anderes soll es sein, wenn eine imaginäre Zahl (i) mit zwei irrationalen Zahlen (e, π) und einer natürlichen Zahl (1) zusammenwirkt und dabei nichts ergibt.
Bei einer
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