Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)
Karstadt-Filiale in Hannover eine weitere Rohrbombe. Es ist die erste Bombe, die Dagobert während der Geschäftszeit zündet. Zwei Menschen werden leicht verletzt.
Einen Tag später geht ein Brief beim Axel-Springer-Verlag ein. Sinngemäß steht darin: Karstadt und die Kripo »pokern« mit dem Leben von Menschen. Sie haben versucht, mich auszutricksen. In der Presse stand, dass der Konzern und die Polizei nicht an einen Anschlag während der Geschäftszeit glauben. Damit haben sie mich »gezwungen«, das Gegenteil zu beweisen. Erpressung ist nicht die »feine Art«, aber ich habe keine »andere Wahl«.
Der Druck auf uns steigt. Und wir haben wenig in der Hand. Niemand hat bisher mit dem Erpresser gesprochen. Unsere Einflussmöglichkeiten sind begrenzt. Der Täter nimmt anscheinend Aussagen in der Presse für bare Münze und rechtfertigt damit einen Bombenanschlag. Und alles, was wir haben, sind eine Computerstimme, seine Bomben, seine Briefe, seine Übergabeversuche und seine Reaktionen auf das Scheitern. Wir brauchen ein präziseres Bild von dem Täter, wie er denkt und wie er fühlt, um ihn zu verstehen.
Wenn ich ein Täterprofil erstelle, trage ich alle Fakten zusammen, gehe alles in Ruhe durch. Lese die Akten, ziehe vergleichbare Fälle heran, sichte die Fachliteratur. Ich spreche mit den Ermittlern, diskutiere mit den Spezialisten für Geiselnahmen, Entführungen und Erpressungen, frage Professoren um Rat. Mein Schreibtisch verschwindet unter zahlreichen Büchern, bunten DIN -A4-Blättern und Klebezetteln. Manchmal schießt mir auf dem Weg von der Arbeit etwas durch den Kopf, und ich notiere es sofort auf der Rückseite irgendeines Briefes, der gerade im Auto liegt. Alles halte ich fest – Fakten, Wissen, Ahnungen, Gedanken, Hypothesen, Bemerkungen, Anregungen. So entsteht ein Bild. Auf manche Frage kann ich dann antworten, auf andere immer noch nicht. Das ist manchmal unbefriedigend, aber ich kann nicht einfach Tatsachen verdrehen, nur um eine Antwort parat zu haben.
Wie können wir uns der Persönlichkeit des Mannes namens »Dagobert« weiter nähern?
Was sagt uns die Wahl des Opfers? Warum eine Comicfigur als Pseudonym? Warum überhaupt eine Erpressung und dann in dieser aufwendigen Form? Warum eine Million Mark? Warum diese Beharrlichkeit?
Gehen wir davon aus, dass er der gleiche Mann ist, der das KaDeWe erpresst hat. Warum zweimal gehobene Kaufhäuser, warum keine Discounter? Kann er seine Tat vor sich besser rechtfertigen, indem er vermeintlich nur das Geld von Reichen nimmt? Steckt dahinter nicht eine große Portion Neid auf die da oben? Das könnte bedeuten, dass er gerne dazugehören würde. Vielleicht fühlt er sich ausgegrenzt. Ungerechterweise ausgegrenzt, denn eigentlich müsste er dazugehören. Ist er vielleicht beruflich und sozial gescheitert? Werden seine Fähigkeiten nicht gebührend anerkannt? Erhofft er sich bei einem Angriff auf die Reichen ein zustimmendes Nicken in der Bevölkerung? Also wenigstens von dieser Seite Anerkennung?
Das alles würde zu einem überhöhten Anspruchsdenken passen: »Mir steht eigentlich viel Geld und viel Anerkennung zu!« Es scheint, dass dieser Täter versucht, seine eher kindlichen, wenig altersentsprechenden Phantasien von Allmacht, Reichtum und Genialität auszuleben. Deshalb auch der Name Dagobert? Ohne dauerhafte Anstrengung in Geld schwimmen, ein genialer Plan, mit dem er es allen zeigen kann? Wahrscheinlich ist er stolz auf seine raffinierten Tüfteleien, mit denen er die Polizei austrickst.
Zugleich stechen seine schwache Rechtschreibung und sein Schreibstil ins Auge. Da zeigt jemand derart große Sorgfalt beim Austüfteln der Übergabe, doch seine Briefe sind voller Rechtschreib- und Tippfehler und fast im Plauderton gehalten: »keine Mätzchen«, »sagen Sie Ihrem Helicopter-Piloten …«. Er ist technisch sehr bewandert, aber im sozialen Umgang dürfte er etwas ungelenk und nachlässig sein, eher oberflächlich, kindlich unreif. Auch sein Abstraktionsvermögen scheint nicht sehr ausgeprägt zu sein. Er droht und bombt, er unterstreicht ständig seine technischen Kompetenzen, um als ebenbürtiger »Verhandlungspartner« akzeptiert zu werden, als einer, der alles im Griff hat. Aber er kommt anscheinend nicht auf die Idee, dass seine holperigen Briefe diesen Eindruck unterminieren könnten. Er scheint sich selbst nicht bewusst zu sein, auf was er sich hier eingelassen hat: ein schweres Verbrechen.
Entsprechend wählt er auch eine lustige
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