Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
gewinnen versuchte. Die Lösung bestand darin, Personen, die ihren Arbeitsplatz ohne Genehmigung ihres Herrn verließen, zu einer Gefängnisstrafe zu verurteilen:
Und wenn ein Schnitter oder Mäher oder anderer Arbeitsmann oder Dienstbote, wie sein Rang oder Zustand auch sein mag, der bei jemandem in Dienst steht, sich vor dem Ende der vereinbarten Frist ohne Erlaubnis oder vernünftigen Grund entfernt, soll er einer Gefängnisstrafe unterworfen werden, und ferner … soll niemand höhere Löhne, Deputate oder Gehälter zahlen oder ihre Zahlung zulassen, als es, wie gesagt, hergebracht war.
Der Versuch des englischen Staates, den Wandel der Institutionen und Löhne nach dem Schwarzen Tod zu stoppen, blieb allerdings erfolglos. Im Jahr 1381 brach der große Bauernaufstand aus, und die Rebellen, mit Wat Tyler an der Spitze, besetzten sogar den größten Teil Londons. Obwohl sie letztlich unterlagen und Tyler hingerichtet wurde, kam es nicht zu weiteren Versuchen, das Arbeiterstatut durchzusetzen. Die feudalen Arbeitsdienste verschwanden in England. Es bildete sich ein inklusiver Arbeitsmarkt heraus, und die Löhne stiegen.
Die Pest scheint fast die ganze Welt ereilt zu haben, und überall starb ein ähnlicher Prozentsatz der Bevölkerung. Damit waren die demographischen Auswirkungen in Osteuropa die gleichen wie in England und Westeuropa. Auch die sozialen und ökonomischen Folgen ähnelten einander. Arbeitskräfte wurden knapp, und die Menschen verlangten mehr Freiheit. Aber im Osten war eine mächtigere, gegenteilige Logik wirksam. Da sich die Bevölkerung verringert hatte, waren auf einem inklusiven Arbeitsmarkt höhere Löhne zu erwarten. Doch dadurch erhielten die Feudalherren einen größeren Anreiz, dafür zu sorgen, dass der Arbeitsmarkt extraktiv blieb und die Bauern in der Leibeigenschaft verharrten.
Auch in England war diese Motivation wirksam gewesen, wie das Arbeiterstatut belegt. Doch die Arbeiter hatten hier genug Macht, um ihren Willen durchzusetzen. Das war in Osteuropa nicht der Fall. Nach der Pest übernahmen die östlichen Feudalherren zusätzlich große Landstriche und erweiterten so ihre Besitztümer, die ohnehin umfangreicher waren als jene in Westeuropa. Die Städte waren schwächer und hatten eine kleinere Einwohnerschaft, und die Arbeiter mussten, statt freier zu werden, erleben, wie ihre inzwischen bestehenden Rechte wieder beschnitten wurden.
Die Folgen wurden nach dem Jahr 1500 offenkundig, als in Westeuropa eine Nachfrage nach Agrarerzeugnissen wie Weizen, Roggen und Vieh aus dem Osten aufkam. Achtzig Prozent der Roggenimporte nach Amsterdam stammten aus den Flusstälern der Elbe, der Weichsel und der Oder. Bald wickelten die Niederlande die Hälfte ihres florierenden Handels mit Osteuropa ab. Während die westliche Nachfrage wuchs, verstärkten östliche Grundherren ihre Kontrolle über die Arbeitskräfte, um ihr Angebot erweitern zu können. Dieses Phänomen sollte als »Zweite Leibeigenschaft« bezeichnet werden, die gnadenloser war als ihre ursprüngliche Erscheinungsform im frühen Mittelalter. Die Feudalherren erhöhten die Steuern, die sie für die Grundstücke ihrer Pächter verlangten, und beanspruchten die Hälfte der Bruttoproduktion für sich. Im polnischen Korczyn wurde 1533 noch jegliche Arbeit für den Grundherrn entlohnt, doch um 1600 erbrachte man beinahe die Hälfte der Leistungen durch unbezahlte Zwangsarbeit. Im Jahr 1500 brauchten Landarbeiter in Mecklenburg jährlich nur ein paar Tage unentgeltlich tätig zu sein. 1550 wurde daraus ein Tag pro Woche, und 1600 musste man bereits drei Tage wöchentlich ableisten. Auch die Kinder arbeiteten mehrere Jahre lang ohne Bezahlung für den Grundbesitzer. In Ungarn rissen die Eigentümer 1514 die vollständige Kontrolle über das Land an sich und erließen ein Gesetz, das jedem Arbeiter vorschrieb, einen Tag pro Woche unbezahlte Dienste zu leisten. Im Jahr 1550 wurde diese Verpflichtung auf zwei Tage pro Woche erhöht. Am Ende des Jahrhunderts waren es drei Tage. Leibeigene, die solchen Vorschriften unterlagen, machten mittlerweile 90 Prozent der Landbevölkerung aus.
Wiewohl es im Jahr 1346 kaum Unterschiede zwischen West- und Osteuropa hinsichtlich der politischen und wirtschaftlichen Institutionen gab, bestand um 1600 bereits eine breite Kluft zwischen ihnen. Ab Anfang des 19. Jahrhunderts wurden die Landarbeiter im Westen frei von Feudalabgaben, Geldstrafen und Verordnungen und stellten bald einen wichtigen Teil der
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