Warum so scheu, MyLady
Verdacht, dass du zu dieser Ehe gezwungen wurdest. Sicher hast du’s nicht einfach mit Devon. Ich liebe ihn innig. Aber er kann sehr schwierig sein. So war er nicht immer. Nach Marys Tod verkroch er sich monatelang in seinem Schneckenhaus, und ich hatte schon Angst, er würde nie wieder Freude am Leben finden. Deshalb wollte ich ihn nicht allein lassen und erklärte Adam, wir müssten mit der Hochzeit warten. Dann verkündete Devon, er würde dich heiraten. Und da wusste ich, dass er gerettet ist.”
“Wie kannst du das sagen? Für Devon bin ich doch nur ein Ärgernis.”
“Unsinn! Du bedeutest ihm sehr viel. Aber er wehrt sich gegen seine Gefühle, weil er fürchtet, wieder verletzt zu werden.”
“Er muss Mary sehr geliebt haben.”
“Vielleicht …” Erstaunt vernahm Sarah den skeptischen Unterton, der in Jessicas Stimme mitschwang. “Die Ehe wurde arrangiert. Schon bei Marys Geburt beschlossen ihr Vater und meiner, die beiden müssten heiraten. Von Liebe war vermutlich nie die Rede.”
“Wie traurig.”
Jessica schaute aus dem Fenster. Am strahlend blauen Himmel hingen nur ein paar weiße Wölkchen. “Reiten wir zum Turm! Bist du hinaufgestiegen, als du mit Devon dort warst?”
“Nein.”
“Heute musst du’s nachholen. Die Aussicht ist fantastisch. Und ich werde Devon doch noch dazu bringen, uns zu begleiten.”
“Das bezweifle ich.”
“Sicher kommt er mit, wenn er hört, dass wir den Turm erklimmen wollen. Er wollte mit Mr. Dalton die Bücher prüfen. Kurz bevor wir den Stall verlassen, schicken wir ihm eine Nachricht.”
“Findest du das klug? Er wird sich schrecklich ärgern.”
“Nur ein bisschen. Außerdem fährt er morgen nach London. Wer weiß, wann wir ihn wieder sehen? Und er soll endlich einsehen, dass er keinen Grund hat, dich zu fürchten.”
Devon riss den Brief auf, den ihm ein Lakai soeben überreicht hatte, überflog die wenigen Zeilen und fluchte.
“Gibt’s ein Problem?”, fragte Dalton, der ihm am Schreibtisch gegenübersaß. Zwischen ihnen lagen mehrere Rechnungsbücher.
“Meine Schwester möchte mit meiner Frau auf den alten Turm steigen – obwohl sie weiß, wie gefährlich das ist, besonders für jemanden, der’s zum ersten Mal macht. Keine Ahnung, warum sie Sarahs Hals riskieren will …” Irgendwie gewann er den Eindruck, Jessica wollte ihn damit zur Teilnahme an diesem Ausflug zwingen.
“Dann sollten Sie die Damen begleiten. Seit wir die Bücher vor zwei Tagen durchsahen, hat sich nicht viel geändert.” Der Verwalter schien sich insgeheim zu amüsieren, als wüsste er, warum Seine Lordschaft plötzlich ein so brennendes Interesse an der Buchführung zeigte und sich fast täglich damit befasste.
Devon runzelte die Stirn. Schlimm genug, dass Jessica bemerkt hatte, wie beharrlich er Sarah aus dem Weg ging. Und jetzt fiel es auch noch seinen Angestellten auf. Eigentlich dürfte er sich nicht von Jessica erpressen lassen. Aber seine Sorge um Sarah überwog solche Bedenken. “Sobald ich die beiden vor ihrer eigenen Dummheit bewahrt habe, komme ich zurück”, versprach er und stand seufzend auf.
“Natürlich, Mylord.”
Als Devon die beiden Reiterinnen einholte, überquerten sie gerade die Wiese vor dem Turm. “Verzeih meine Verspätung, Sarah”, bat er und lenkte Gawain an die Seite seiner Frau.
“Oh … ich hatte nicht erwartet, dass du mit uns kommen würdest.”
“Aber Jessica hat vermutlich damit gerechnet”, erwiderte er und schaute seine Schwester an, die wortlos lächelte. Vor der alten Mauer stieg er ab, hob beide Damen aus den Sätteln und band die Pferde an den eisernen Ringen fest. “Nun, Jessica, wozu brauchst du mich?”
“Habe ich behauptet, ich würde dich brauchen? Ich schrieb dir nur, wir würden auf den Turm steigen.”
“Was auf dasselbe rauskommt, denn du weißt sehr gut, dass ihr nicht ohne männlichen Schutz hinaufklettern dürft.”
“Wär’s dir lieber gewesen, ich hätte Charles Kenton gebeten, uns zu begleiten?”
Mühsam unterdrückte er einen Fluch. “Nun, Sarah?”, fauchte er. “Willst du die Aussicht von da oben genießen?”
“Nur wenn du uns hinaufführst”, erwiderte sie höflich.
“Das habe ich vor – da ich schon mal hier bin.”
“Natürlich will ich dich nicht zwingen, deine kostbare Zeit zu opfern.”
“Gut, dann gehe ich wieder an meine Arbeit.”
“Aber …”, begann Jessica. Als er die bittere Enttäuschung in ihren Augen las, meldete sich sein Gewissen.
Sarahs Miene
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