Warum so scheu, MyLady
nicht davonläuft.”
“Das würde Samuel sicher verhindern”, meinte Devon mit einem Blick auf einen Reitknecht, der sofort herbeieilte.
“Gewiss, Mylady.”
“Also gut.” Widerwillig reichte sie Devon ihre Hand, die sie ihm sofort wieder entzog, sobald er ihr aus dem Wagen geholfen hatte. “Gehen wir zu den anderen.”
“Noch nicht. Machen wir erst mal einen kleinen Spaziergang.”
“Dazu habe ich keine Lust.”
“Wenn du dich weigerst, lege ich dich über meine Schulter und trage ich dich davon.”
Entrüstet schnappte sie nach Luft. “Das wagst du nicht!”
“Doch.”
“So etwas wäre schrecklich unfair.”
“Im Augenblick neige ich nicht zur Fairness. Am Bach finden wir ein idyllisches Plätzchen, wo wir in Ruhe reden können.”
“Wie du willst”, seufzte sie und eilte an ihm vorbei.
Mühelos holte er sie ein und hielt ihren Arm fest. “Du gehst in die falsche Richtung. Da vorn liegt die Schafweide”, fügte er grinsend hinzu.
Machte er sich über sie lustig? “Ich mag Schafe”, erklärte sie kühl. Am liebsten hätte sie ihm eine undamenhafte Ohrfeige verpasst.
Er führte sie zur grasbewachsenen Böschung am Bach. Als er sich zu ihr wandte, erschien ihr sein Gesicht ungewöhnlich ernst.
“Wieder ein Spiel?”, fragte sie.
“Nein …” Nach kurzem Zögern fuhr er fort: “Was ich gestern Abend sagte, bedaure ich zutiefst. Dafür gibt es keine Entschuldigung – bestenfalls, dass ich Kenton um deine Freundschaft beneide.”
“Warum?”
Devon zuckte die Achseln. “Wahrscheinlich, weil ich mich auch gern so unbefangen mit dir unterhalten und deine Wertschätzung genießen würde.”
“Aber ich schätze dich doch!”, betonte sie verblüfft.
“Du musst meine Gefühle nicht schonen. Seit dem Henslowe-Ball habe ich dich unentwegt geärgert und beleidigt. Als wir auf den Turm stiegen, hätte ich beinahe deinen Tod verursacht. Und lange davor verletzte ich deinen Bruder in einem Duell. Also hast du allen Grund, mich zu verachten.”
“O nein, ich verachte dich nicht! Wie könnte ich – nachdem Nicholas dich so schmählich hintergangen und dir deine Frau weggenommen hatte.”
“Das tat er nicht …” Verständnislos starrte sie ihn an. Nach einer kurzen Pause sprach er weiter, während er die plätschernden Wellen beobachtete. “Mary wollte ihre alte Kinderfrau besuchen, kam aber nur bis zu einem Gasthof in Yorkshire, wo sie an der Grippe erkrankte. Der Wirt und seine Frau pflegten sie. Weil es ihr immer schlechter ging, meinten die beiden, jemand müsste verständigt werden. Da nannte sie den Namen deines Bruders. Noch etwas …” Er schaute sie wieder an. Bestürzt las sie tiefen Kummer und Bitterkeit in seinen Augen. “Sie erwartete ein Kind von ihm.”
Obwohl sie den Schmerz am liebsten aus seiner Seele gerissen und in ihrer eigenen aufgenommen hätte, wagte sie sich nicht zu rühren. Bedrückt stand sie da und brachte kein Wort hervor.
“Das erfuhr ich erst, als ich sie in jenem Gasthaus aufspürte. Am Tag nach unserer Hochzeit hatte sie mich gebeten, die Ehe annullieren zu lassen. Natürlich weigerte ich mich. Ich hatte keine Ahnung, was mit ihr los war, und dachte, sie wäre nicht ganz bei Sinnen, weil sie den Tod ihres Vaters nicht verwinden könnte, der einige Monate vor unserer Heirat gestorben war. Eine Woche später bat sie mich erneut um eine Annullierung unserer Ehe, was ich erneut ablehnte. Deshalb ergriff sie die Flucht. Ich habe sie in den Tod getrieben.”
“O nein!” Beschwörend legte Sarah eine Hand auf seinen Arm. “Seltsam – Nicholas, Lady Coleridge, du und ich, wir alle geben uns die Schuld an Marys Tod.”
“Auch
du
? Großer Gott, warum?”
“Kurz nach eurem Verlobungsball lud ich sie zu mir ein. Erinnerst du dich? Mama war sehr krank. Da ich meistens bei ihr sitzen musste, bat ich Mary und Nicholas, einander Gesellschaft zu leisten. Ich dachte mir nichts dabei und freute mich, weil sie sich so gut verstanden. Jetzt bereue ich meine Dummheit. Hätte ich Mary damals nicht eingeladen, wäre sie vielleicht noch am Leben.”
“Was zwischen den beiden geschehen würde, konntest du nicht vorhersehen.”
“Wohl kaum … Und dich trifft auch keine Schuld. Du kanntest Marys Geheimnis nicht.”
“Nein. Aber ich muss ihr solche Angst eingejagt haben, dass sie die Wahrheit nicht über die Lippen brachte. Und das verstehe ich sogar. Ich kränkte und verletzte sie. Nicht nur mit Worten.”
“Devon …”
“Ein paar Mal versuchte
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